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Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirko Kovac
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kam mir ganz nahe und sagte drohend: »Na, Mädelchen, willst du nicht ein Deckchen für uns stricken?«
    Ich konnte ihnen entkommen und rannte weg, keine Demütigung konnte mich kleinkriegen, nichts mich dazu bringen, mich von Jozipa fernzuhalten. Mutter war stolz darauf, dass Jozipa mich vor allen anderen bevorzugte, sie erzählte überall herum, dass ich von meiner Lehrerin besessen sei, aber sie nahm es ihr dennoch sehr übel, dass sie mir Handarbeiten beibrachte, ich war schließlich ihr Junge. Aber sie bekam die Antwort, dass Handarbeit das Gleiche wie Lesen sei, genauso wichtig wie Singen, Gymnastik oder Schönschreiben. Jozipas Einstellung war, dass man Talent nicht in männlich oder weiblich aufteilen könne und dass solch verquere Einstellungen uns in der modernen und zivilisierten Welt zu Hinterwäldlern machten. Meine Mitschüler hatten auch gute Noten in Handarbeit, aber sie stellten ebenso geschickt kleine Schneepflüge aus Holz her, bastelten Miniatursensen und anderes Werkzeug, sie konnten Schiffe, Barken oder Schachteln modellieren, manche auch Särge.
    Ohne Zweifel brachte unsere Lehrerin Jozipa vollkommen neue Ideen in unseren verbohrten Dorfsumpf, mutig hielt sie die Stellung, sah über die Arroganz und die Bosheit der Leute hinweg, nahm es aber auch mit den Lügen und grotesken Verrücktheiten des primitiven Kommunismus auf. Dabei hatte Jozipa aber durchaus das eine oder andere Golgatha zu erleiden. Der Schüler, der in der Bank vor mir saß, war wild und bösartig, er war ein schlechter Schüler und fing immer Streit an, zerstörte oft das Schulinventar, und in die Schulbank ritzte er mit seinem Taschenmesser vulgäre Wörter hinein. Immer wenn er Kreide sah, brach er sie auseinander oder zertrat sie auf dem Boden, pinkelte in den Schwamm, mit dem wir die Tafel wischten, und malte, wo immer er konnte, das männliche und das weibliche Geschlecht hin. Er richtete überall Schaden an, es fiel ihm stets eine neue Widerlichkeit ein, aber vieles davon verzieh man ihm, weil er ein Kriegswaise und ein »Kind gefallener Kämpfer« war – das war die Sprache der Komiteetreffen und Staatszusammenkünfte. Als er eines Tages auch gegenüber Jozipa übergriffig wurde, wies sie ihn mit folgenden Worten zurecht: »Was für Leute kümmern sich eigentlich um dich – was sind das für elende Betreuer, die es nicht zustande bringen, einem Schreihals wie dir den Sinn von Höflichkeit zu erklären? Du gehörst in eine Besserungsanstalt und nicht in eine Schule! In dir wohnt und wächst ein Gewalttäter heran, jetzt schon könntest du als Mörder durchgehen.«
    Sein Vormund, die Stadträte und Vorsitzenden der Partei brachten die Lehrerin vor das Partei-Komitee, dort befragte und malträtierte man sie wegen des Wortes »Betreuer«, es gezieme sich nicht, so mit einem Kind umzugehen, das ein Nachfahre gefallener Kämpfer sei, die sich um unser neues Land verdient gemacht hätten. Das Wort empfand man als beleidigend, obwohl es in seiner Bedeutung durchaus dem Wort Eltern gleichgestellt war. Man spreche hier keineswegs eine artifizielle literarische Sprache, gab man ihr zu verstehen, vielmehr stünde die Sprache des Volkes im Vordergrund, und diese liege ihnen allen am Herzen. Das war die verdeckte Art, ihr mit einem Rauswurf zu drohen.
    Auch damals stellte ich mich auf ihre Seite, allerdings diskret, auf meine Weise. Mit durchdachter Behutsamkeit hatte ich schon immer Dinge zu erreichen versucht, die mir wichtig waren. Ich meldete mich bei einem Schreibwettbewerb an, den das Bildungsministerium für einen Aufsatz zum Thema »Kriegswaisen« ausgeschrieben hatte. Heimlich arbeitete ich mit großer Akribie an meinem Text, niemand half mir dabei, und meiner Lehrerin verriet ich auch nicht, dass ich an diesem Wettbewerb teilnehmen wollte. Ich hatte eine schöne Handschrift und achtete darauf, dass mir nicht einmal der Ansatz eines grammatischen oder irgendeines anderen Fehlers unterlief, deswegen schrieb ich meinen Aufsatz mindestens zwanzig Mal ab. Die erforderlichen Angaben zum Verfasser schrieb ich auf ein gesondertes Blatt und legte es meinem Text bei. Ich steckte alles in einen Umschlag und schickte es an die angegebene Adresse des Wettbewerbs ab. Mein Aufsatz trug den Titel »Der Staat als Betreuer von Kriegswaisen«, bekam den ersten Preis und wurde im Sammelband junger Talente veröffentlicht. Man wusste von diesem Preisausschreiben nicht nur in der Schule, sondern in der ganzen Stadt. Mit meinem Erfolg

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