Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Spiel gewesen.
Blago studierte Medizin in Rom. Dort sind ihm die Bücher des namhaften, aus Dubrovnik stammenden Arztes Giorgio Baglivi aus dem 17. Jahrhundert in die Hände gefallen. Blago hat gleich verstanden, dass er mütterlicherseits mit diesem berühmten Mann verwandt war. Die Wurzeln des angesehenen Arztes Baglivi sind tatsächlich bis nach Dubrovnik nachvollziehbar. Er stammte von der Familie namens Armen ab, einer Ahnenlinie seiner Mutter, die noch heute den Namen Vuković tragen. Da er früh ohne Eltern geblieben war, hatten ihn der berühmte Arzt Pier Angelo Baglivi und seine Ehefrau Margarita d’Amato aus Lecce zu sich geholt und dann adoptiert.
Während seines Studiums in Rom ließ mein Onkel Blago immer wieder mal eine Bemerkung über seine adelige Herkunft fallen oder faselte etwas von einem Familienwappen vor sich hin. Bei seiner mehr erträumten als real belegbaren Geschichte berief er sich auf seine Großmutter, die Mutter seines Vaters, die in Vuković zur Welt gekommen war. Diese konnte aber gar keine Adlige sein, nur eine vornehme Frau aus einem guten montenegrinischen Haus.
Mein Onkel beschrieb den Leuten seinen Geburtsort L. als eine Art Kurort, dessen Solen mit besonderer Heilkraft gesegnet seien. Er machte daraus in seinen Geschichten so etwas wie das Paradies auf Erden, das gerade gut genug für die feine Dubrovniker Gesellschaft war. Die geografische Verortung von L. erfuhr bei ihm auch eine leichte Verschiebung, er rückte es etwas näher an die Stadt heran, als es das in Wirklichkeit war, belog sich dabei selbst und überhöhte in allem die Schönheit dieser Gegend. Der Kleinstadt, in die er zur Schule gegangen war, gab er allen Ernstes den Beinamen »Klein-Epidauros«. Der Arme dachte sich seine Herkunft einfach aus und glaubte am Ende noch selbst an seine eigenen Erfindungen. Großtuerei aber ist und bleibt das Ergebnis eines inneren Mangels. Onkel Blago schreckte auch nicht davor zurück, seinen Geburtsort sogar direkt an die dalmatinische Küste zu verlagern. Und das war so weit von allen Tatsachen entfernt, dass man es schon eine glatte Lüge nennen musste, denn die Kleinstadt, in der er seine Kindheit verbracht hatte und eingeschult worden war, reichte nicht einmal an den Schatten jenes glorreichen Epidauros heran. Das Städtchen war nichts weiter als einfach tiefe türkische Provinz, in der nur das Muslimische das ausschließlich Gute war. Wenn meine Quellen authentisch sind, dann hat Blago in eine wohlhabende römische Bäckerfamilie hineingeheiratet, die im Besitz einer ganzen Kette von Läden waren. Er nahm den Namen seiner Frau an und hieß nun Turchini, behielt aber seinen ersten Namen noch bei, wohl um sich damit doch noch so etwas wie einen Hinweis auf seine Herkunft zu erhalten.
Mein Onkel ist in alledem keine Ausnahme. Das ganze Hinterland von Dubrovnik scheint Lügner wie ihn am laufenden Band zu produzieren. Nahezu jeder gebildete und talentierte Mensch aus meiner Geburtsgegend hat sich früher oder später eine großartige Dubrovniker Herkunft ausgemalt. In der Regel konnte man aber davon ausgehen, dass keiner von ihnen je das Meer zu Gesicht bekommen hatte.
Der berühmte serbische Dichter Jovan Dučić kam aus der Gegend von Trebinje. Auch er fiktionalisierte seine einfache Herkunft und bezeichnete sich als einen Adligen aus Dubrovnik. Unter Diplomaten und in Belgrad war er für seinen Charme und seine vornehmen Manieren gegenüber jungen Damen bekannt. In der Schweiz verführte er einmal eine Minderjährige, indem er ihr seine Dubrovniker Verse ins Ohr flüsterte. 1903 begegnete er dem kroatischen Dichter A. G. Matoš, der ihn mit Koffern auf dem Belgrader Hauptbahnhof antraf. Mit der für ihn bezeichnenden Geradlinigkeit ging er auf ihn zu. »Eifriger junger Dichter«, sagte er, »wenn Sie schon Ihre Gesichtshaut auf Ihre Dubrovniker Vornehmheit zurückführen, warum sind Sie dann nicht auch in der Lage, sich ein bisschen zu bücken und die Armen mit einem Groschen zu beglücken? Ich sehe schon, das ist nicht Ihre Sache, Sie haben sich gleich das Vornehme an sich zu eigen gemacht und denken wohl, dass Lügen ein passables Versteck abgeben, wenn sie nur pompös genug sind!« A. G. Matoš war ein gefürchteter Lyriker mit einem glasklaren Verstand. Auch den Bildhauer Ivan Meštrović hat er als Schwindler überführt. »Er ist nicht einmal aus Dubrovnik und hat keine Skrupel, sich als Ragusaner zu verkaufen«, heißt es einmal bei ihm.
Jeder wollte am Ruhm von
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