Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
Patrizier wurde von der Stadt Dubrovnik jährlich ein Tribut von achtundvierzig Dukaten gezahlt.
Der Tabakdosenbrauch ging von Vater auf Sohn über und wurde auf diese Weise mit der Zeit Tradition. Dahinter verbarg sich der Wunsch, einen unerschütterlichen Familienkern auszubilden, um sowohl gestärkt den Herrschenden als auch den einflussreichen Familien mit ihren Bürgschaftsregeln zu begegnen, ganz egal welcher Regierung sie gerade angehörten.
Die festliche Übergabe der Tabakdose war rituellen Regeln unterworfen. Der Schenkende zog sich festlich an. Er nahm am Kopfende einer Tafel Platz, die unter einem Maulbeerbaum aufgestellt wurde; dies durfte jedoch nur geschehen, wenn die Früchte bereits reif waren. Auf dem üppig gedeckten Tisch lag weißes Linnen. Jeder war eingeladen vorbeizukommen, zu essen, soviel er konnte, mit vollen Taschen wegzugehen war nicht nur erlaubt, sondern auch erwünscht. Es wurden Gäste jeder Religion eingeladen. Die reifen Maulbeeren fielen auf die weiße Tischdecke herab, und am Ende des Festes stieg der Beschenkte in den Baum hinauf und rüttelte so lange an den Ästen der Maulbeere, bis sich ihre saftigen Früchte lösten und den ganzen Tisch bedeckten.
In unserer Zeit ist wenig von diesem Brauch übrig geblieben, man vernachlässigte ihn weitgehend und trug irgendwann nur noch einen Tisch nach draußen. Die Geschenkübergabe fand vor dem Gemeindeschreiber statt, der die Zeremonie mit einem Ring besiegelte. Den Tisch bedeckte niemand mehr mit weißem Linnen. So etwas Festliches besaß kaum noch jemand. Die einflussreichen Familien verschwanden mehr und mehr aus dem öffentlichen Leben. Die darauffolgenden Jahre, in denen das Böse überhandnahm, wurden allmählich das, was wir heute alle unsere Geschichte nennen. Kriege brachten den Menschen Armut, sogar Dubrovnik schien zugrunde zu gehen, aber die Stadt hatte keineswegs nur Nachteile, sondern durchaus Vorteile vom Profitdenken und vom Waffenschmuggel.
Auch mein Großvater machte sich wie die Stadt Dubrovnik das eine oder andere Unglück zunutze, um sein Vermögen zu vergrößern. Er kaufte das schöne Haus in Trebinje dem einstigen Kaufmann Alija Resulbegović ab, der ein Nachfahre aus dem dritten Geschlecht des Arslan Bey war. Alija hatte einen schlechten Ruf. Er war der üblichen Habgier der Reichen verfallen, neidisch auf andere und ein geiziger, jähzorniger Mensch. Belanglose Kleinigkeiten waren für ihn Anlass genug, in die Luft zu gehen, zudem zog er schnell eine Waffe aus der Tasche. Wegen Geldstreitigkeiten hatte er wohl auch einmal einen eigenen Verwandten angeschossen. Nach dem Rückzug der türkischen Armee griff Ali mit seinen etwa hundert bewaffneten Untergebenen die einmarschierenden und gut ausgerüsteten Truppen von Österreich-Ungarn an, stets unter Jubelschreien, denen Allahu-Akbar-Rufe und Surengebete folgten. Seine Leute hatten schlechte Waffen, dennoch zwangen sie ihre Feinde mehrfach in die Knie. Unter den Waffen, die sie benutzten, waren zum einen ein sogenannter Hinterlader, ein Gewehr also mit Bügelverschluss, dessen Läufe an beiden Enden offen sind, und zum anderen ein Säbel sowie zwei kleine Gewehre mit Gurt. Auch die Niederschlagung der deutschen Artillerie in Milim wurde Ali zugeschrieben. Doch dann ergab er sich plötzlich nach einem Gespräch mit dem Muslim Fejzag Šehović mitten auf einem katholischen Friedhof. Da man um seine hochstehende Herkunft wusste, war man darum bemüht, ihm die Todesstrafe zu ersparen. Er wurde zwanzig Jahre hinter Gitter gebracht. Als er aus dem Gefängnis kam, verkaufte er alle seine Güter und schreckte auch nicht davor zurück, sein Familien-Mausoleum mit dem schön gearbeiteten Grabstein zu verscherbeln. Dann wanderte er in seinem sechsundfünfzigsten Lebensjahr mit seiner ganzen Familie in die Türkei aus.
Die Tabakdose, die mein Vater erbte, hatte Großvater Mato von seinem Freund Mato Grbić aus Rijeka Dubrovačka. Er gab sie ihm wohl aus Dankbarkeit, Genaueres wusste darüber aber niemand. Es muss zur gleichen Zeit dazu gekommen sein, als Miho Martelini sein Haus und Anwesen der Familie Grbić auf Rijeka verkaufte. Später gab es dann weitere Geschenke von der Familie Grbić. Jeder gab meinem Großvater irgendetwas, insgesamt kamen über die Jahre an die zwanzig wertvolle Gegenstände zusammen, schöne, ungewöhnliche und praktische Dinge waren das, und auf jedem Gegenstand waren das Datum und der Name des Schenkenden eingraviert. Es ist fast nichts mehr
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