Die Stadt im Spiegel: Roman (German Edition)
die Friedhofspflege erhielten, und quietschte.
Langsam bewegten wir uns von Grab zu Grab, blieben an dem einen oder anderen stehen, um uns die Namen anzusehen, obwohl wir genau wussten, wer an welcher Stelle bestattet worden war. Wir gingen zu den Gräbern unserer Verwandten, auch zu jenem Grab, das mein Großvater Mato für sich und seine Frau vorgesehen, aber nie geschafft hatte zu vergrößern und zu renovieren, und er selbst wurde nicht einmal auf diesem Friedhof begraben. Mein Vater sagte, die Schlangen hätten hier eine ideale Heimstatt gefunden. An dieser Grabstele war kein Name zu lesen, das Kreuz verschwand im wachsenden Blätterwerk, und über die Grabplatte hatte sich eine Schicht von Patina gelegt, eine hauchzarte schöne Patinaschicht, die an alte und längst vergangene Zeiten denken ließ. Mein Großvater ist auf dem Lagerfriedhof von Gmünd begraben. Niemand von uns war jemals dort gewesen, nur ich bin unlängst einmal durch dieses schöne österreichische Städtchen durchgekommen und habe meinen Mitreisenden erzählt, dass hier irgendwo in der Erde die Überreste meines Großvaters ruhen.
Es gab auch noch ein anderes Familiengrab unserer Vorfahren. Ihre Namen waren nicht mehr zu erkennen, nur die Reste einer alten Schrift waren noch da, einzelne Buchstaben, gewiss Altkirchenslawisch. Es war verwunderlich, dass an dem Grab kein Kreuz angebracht war, nur eine flache Grabplatte, etwas anderes fiel aber ganz und gar aus der Reihe. Es war ein sechszackiger Stern auf der Mitte der Grabplatte. Die Zeit hatte den Stern nicht verbleichen lassen. Über dieses Symbol konnte uns Vater nichts sagen. »Das ist schwer zu erklären«, sagte er. »Nicht einmal die Leute, die sich damit beschäftigen, könnten uns Auskunft geben.«
Es muss erwähnt werden, dass es nicht üblich war, auf diesem Friedhof die Toten aus der Familie meines Großvaters zu bestatten. Die Gemeinde, der er angehörte, hatte ihre Kirche auf der anderen Seite des Ortes, es ist eine besonders schöne alte Kirche, mit bemalten Wänden, der Friedhof ist nicht so verwahrlost, nur vier Familien haben hier ihre Gräber.
Ich war oft auf diesem Friedhof gewesen, einmal auch mit meiner Großmutter Jelica, es muss irgendein Feiertag gewesen sein, über den ich nichts wusste. Wir hatten einige Kleinigkeiten mitgebracht, die Großvater zu Lebzeiten geliebt hatte, wir setzten uns an die Gräber und aßen genüsslich alles auf.
Nach unserem Ausflug zum Friedhof nahm ich nun mit meinen Eltern eine Abkürzung in Richtung der Bahnstation. Vater trug den Korb, Mutter hatte sich angeboten, es selbst zu tun, aber er hatte das abgelehnt. Da sie schwanger war, hatte ich mich besorgt gezeigt und ihr zu verstehen gegeben, dass auch mir das nicht recht sein würde. Vater schlug vor, dass wir im Wirtshaus hinter dem Bahnhof einkehrten. Das gefiel uns allen gut. Dort blieben wir sitzen, bis der Zug einfuhr, wir tranken Kirschsaft, ich sprang mehrmals raus, um nach dem Zug Ausschau zu halten, ich hatte Angst, dass wir ihn verpassen könnten. Es hatte sich schnell herumgesprochen, dass mein Vater im Wirtshaus war, viele Leute kamen herein, aber man grüßte uns nur verhalten. Jene, die meinen Vater gut gekannt hatten, wunderten sich, dass er ihnen nicht ein Gläschen spendierte. Bestellte denn hier keiner mehr etwas? Wo waren die Zeiten geblieben, in denen mein Vater den Kellner zu sich gerufen und eine Runde für alle bestellt hatte? Anstatt wie früher den anderen Getränke zu spendieren, erklärte mein Vater freudig, dass seine Frau ein Kind erwartete und er seinen Geburtstag mit Schüssen und einem Feuerwerk zu feiern gedenke. »Wenn die Schwangere Schmerzen auf der rechten Seite des Bauches hat, dann wird es ein Junge«, sagte der Wirtshausbesitzer und brachte meiner Mutter ein gekochtes Ei und zwei Krapfen auf einem Teller. Das war ein alter Brauch, man brachte der Schwangeren immer das, was man gerade selbst im Haus hatte.
»Ich spüre Schmerzen auf der rechten Seite«, sagte meine Mutter, als sie die Krapfen und die Eier verspeiste, und dann gingen wir gemeinsam zum Zug.
Im Zug fühlte Mutter sich nicht gut, sie ging zum Fenster, beugte sich vor und versuchte sich zu übergeben. Ein unbekannter Mann mit einem Fes auf dem Kopf trat zu ihr und legte seine Hand auf ihre Stirn, mein Vater betrachtete all das in Ruhe und drehte sich dabei eine Zigarette. Hätte der Mann seine Hand auf Mutters Brust oder Bauch gelegt, wäre mein Vater, selbst wenn das zu Streit
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