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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Zeit, hat durch Quantenfluktuationen auch die Maschine geschaffen, und einen Deus ex machina, einen Gott aus der Maschine, der die Stadt schuf.«
    Sie erreichten den Korb und hoben die Koffer. Louise und ein hagerer Mann, den Benjamin noch nie zuvor gesehen hatte, nahmen sie entgegen und fügten sie dem Gepäck auf der einen Seite hinzu. »Wir sind zu schwer«, sagte eine ältere Frau, die in der Ecke des Korbs stand und sich beide Hände an die Brust drückte. Sie war ziemlich bleich. »Mit all den Sachen sind wir bestimmt viel zu schwer! Wir sollten die Koffer zurücklassen.«
    »Mit Verlaub«, entgegnete Kowalski würdevoll. »Eher bleibst du zurück, Miriam.« Er kletterte in den Korb. Benjamin stand bereits neben Louise und half ihm.
    Agostino kehrte von der Leiter zurück. »Ich habe nichts gesehen, Pascal«, brummte er und steckte den Feldstecher in eine Tasche seines Overalls. »Draußen ist alles ruhig.«
    »Ich hätte schwören können, vorhin das Licht von einer Fackel gesehen zu haben«, sagte der hagere Mann, der einen von Kowalskis Koffern entgegengenommen hatte.
    Agostino schwang sich über den Rand des Korbs.
    »Wir sind zu schwer«, klagte Miriam. »Wir sind bestimmt zu schwer.«
    Mit Agostino standen zehn Personen im Korb, und hinzu kam das Gepäck – es war recht eng geworden. Kowalski zog an einer Leine, und über ihnen fauchte der Brenner. Seine Flamme schickte flackerndes Licht über das Dach des alten Fabrikgebäudes.
    Die Halteseile knarrten.

    »Es geht los«, verkündete Kowalski in einem feierlichen Ton. »Seile lösen.«
    Agostino schob sich an den Passagieren vorbei und band die Halteseile los.
    »Seile sind gelöst!«, rief er.
    Der Ballon stieg langsam auf, Zentimeter um Zentimeter. Der Brenner fauchte unentwegt, und der von heißer Luft geschaffene Auftrieb hob den Ballon und seinen Korb in die Nacht. Bei den Passagieren kam es zu einem Moment der Unruhe, als der Ballon von leichtem Wind erfasst zur Seite driftete und der Korb gegen die Mauer stieß. Dann waren sie darüber hinweg und schwebten über der dunklen Stadt.
    »Wir sind unterwegs«, sagte Benjamin zufrieden und stellte fest, dass er die Arme um Louise geschlungen hatte. Er ließ sie los. »Wenigstens können wir des Nachts nicht in die Sonne geraten und verbrennen, wie der Testballon.« Im Licht der Brennerflamme bemerkte er Kowalskis fragenden Blick und fügte hinzu: »Ich habe ihn gesehen, durch Laurentius’ Teleskop.«
    »Und wer weiß, wie viele Leute ihn sonst noch gesehen haben, auch ohne Teleskop«, klagte Agostino. »Und den Ballon des Predigers. Kein Start am Tag, während man uns sehen kann, habe ich gesagt. Aber hat man auf mich gehört? Nein, hat man nicht.«
    »Der Prediger ist mit dem anderen Ballon unterwegs?«, fragte Louise.
    »Da staunst du, was?«, erwiderte Agostino. Er klopfte auf die Taschen seines Overalls und schien sich vergewissern zu wollen, dass er sein Lebensbuch dabei hatte. »Hat wie wir die Zeichen erkannt, der Prediger. Vielleicht hat’s ihm einer der
Götter zugeflüstert, deren Lehren er in den Kirchen und Tempeln der Stadt verkündete.« Agostino verstellte die Stimme. »Mein Sohn, du hast gut gepredigt, aber nun wird es Zeit, dass du die Stadt verlässt, denn dort sind bald alle am Arsch.« Er lachte, aber es stimmte niemand mit ein. »Allerdings scheint er dem Ballon nicht ganz zu trauen, denn er und die anderen haben die Fallschirme mitgenommen, die einzigen, die wir hatten.«
    »Mir ist schlecht«, stöhnte Miriam, würgte und erbrach sich über den Rand des Korbs hinweg.
    Kowalski ließ die Schnur los, und der Brenner über ihnen verstummte. Dunkelheit umfing sie.
    »Da ist es wieder!«, entfuhr es dem Mann, den Agostino Pascal genannt hatte. »Das Licht!«
    Benjamin sah es ebenfalls, und es schien tatsächlich von einer Fackel zu stammen. Einen Moment später sah er noch viel mehr, denn die ganze Stadt verwandelte sich in einen Lichterteppich.
    »Eine Elektrostunde, ausgerechnet jetzt«, sagte Kowalski und blickte wie die anderen nach unten.
    Überall brannten Lampen, und ihr Licht reichte bis zum Ballon, entriss ihn der Nacht. Benjamin stellte fest, dass sie sich dem Platz mit den zwei Pferden näherten, und dort standen mehrere Streuner. Einer von ihnen deutete nach oben, und die anderen hoben Armbrüste.

39
    Einige Sekunden lang herrschte im Korb betroffene Stille. Alle blickten nach unten.
    Dann sauste ein Armbrustbolzen dicht am Kopf der erneut würgenden Miriam vorbei, die

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