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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Nasenrücken. »Ich fürchte, ihr kommt zu spät. Ich meine, nicht für den ersten Ballon, der sich bereits auf den Weg gemacht hat, sondern auch für den zweiten, der in Bälde starten wird.«
    »Nicht vor Einbruch der Nacht!«, warf der andere Mann ein. »Es muss dunkel sein, wenn wir losfliegen. Damit uns niemand sieht.«
    »Wir haben leider keinen Platz mehr frei.« Kowalski deutete übers Dach zu einer kleinen Gruppe aus Männern und Frauen, die damit beschäftigt waren, die aus vielen einzelnen Stoffteilen zusammengenähte Hülle eines Heißluftballons auszubreiten und die Seile zu überprüfen, die ihn mit dem Korb verbanden. Zwei Männer waren damit beschäftigt, den Brenner zu montieren.
    Der Mann im Overall hob die Armbrust. »Ihr habt ihn gehört. Wir haben keinen Platz mehr frei. Verschwindet!«
    Benjamin beobachtete, wie Louise vorwurfsvoll den Kopf schüttelte und aufs Dach trat. Er folgte ihr zögernd, den Blick auf die Armbrust gerichtet.
    »Warum so unfreundlich, Agostino?«, erwiderte sie und lächelte. »Wo ein Wille ist, da ist auch ein Weg.«
    »Es wird schon jetzt ziemlich eng im Korb …«
    »Bestimmt bietet er noch zwei weiteren Personen Platz, wenn wir alle ein wenig zusammenrücken. Wir können für den Flug bezahlen, nicht wahr, Ben?«

    Benjamin hatte den Namen gehört und verstand. »Ich denke schon«, sagte er und griff in die Innentasche seines Parkas.
    »Selbst wenn ihr den halben Supermarkt hierherbrächtet … «, begann Agostino.
    »Wir haben dir ein kleines Buch mitgebracht, Bertrand Gilbert Du Pont.« Benjamin holte das lindgrüne Buch hervor. »Zwei Plätze im Korb des Ballons. Und dafür bieten wir dir die Geschichte deines Lebens.«

38
    Die Sonne versank hinter den Dächern der Stadt, und Dunkelheit zog über den Himmel, hier und dort durchsetzt von den Flecken falscher Sterne. Agostino alias Bertrand Gilbert Du Pont saß abseits von allen anderen am Ende des von einer hohen Mauer umgebenen Daches und las im Licht einer Lampe im Buch seines Lebens. Manchmal sah Benjamin ihn schmunzeln; bei anderen Gelegenheiten schien er den Tränen nahe. Offenbar bereitete es ihm überhaupt keine Schwierigkeiten, die Worte und Sätze in seinem Lebensbuch zu entziffern.
    »Kowalski und Agostino scheinen dicke Freunde zu sein«, sagte Benjamin leise. Sie saßen am Tisch, bei den Resten des Abendessens, während die anderen ihre Sachen packten. »Wenn Agostino schwul ist, wie es in dem Buch steht, so frage ich mich, ob Kowalski vielleicht auch …«
    »Ist das wichtig für dich?«, erwiderte Louise und trank von
der Medizin. Die Flasche stand vor ihr auf dem Tisch und war noch halb voll.
    »Wichtig? Nein. Ich habe nur darüber nachgedacht …«
    »Fürchtest du, dass er versuchen könnte, dich zu verführen ?«
    »Mich zu verführen? Lieber Himmel, ich bin nicht … Ich meine …«
    Louise lachte und hob ihr Glas. »Darauf ein Prosit!«
    Benjamin hob sein eigenes Glas, nippte nur daran und dachte an Sex. »Sind in der Stadt jemals Kinder geboren worden?«
    »Nein, nie. Wir sind tot, hast du das vergessen? Tote können keine Kinder zeugen. Die wenigen Jungen und Mädchen, die du in der Gemeinschaft gesehen hast, sind Opfer von Unfällen wie du.«
    Falls ich das bin, dachte Benjamin und beobachtete, wie die Männer der Gruppe, unter ihnen Kowalski, die Hülle des Ballons mit einem Gebläse aufbliesen und über den Korb brachten. Die Flamme des Brenners schickte heiße Luft nach oben, und langsam richtete sich der Ballon auf. Halteseile spannten sich. Der Strom für das Gebläse, Agostinos Lampe und Kowalskis Geräte auf der anderen Seite des Daches stammte von einem Generator, der mit dem Mechanismus im nahen Schacht verbunden war. Agostino und Kowalski hatten einen Weg gefunden, die von der gewaltigen Maschine gestohlene Bewegungsenergie in elektrischen Strom umzuwandeln.
    Etwas anderes fiel Benjamin ein, als er erneut an seinem Glas nippte. »Hältst du es nicht für einen extrem unwahrscheinlichen Zufall, dass wir in der Bibliothek ausgerechnet das Lebensbuch gefunden haben, das wir hier brauchten?«

    »Wie meinst du das?«
    »Ich glaube nicht an solche Zufälle«, sagte Benjamin. »Die Bibliothek hat uns das Buch mit Absicht gegeben. Weil sie wusste, dass wir es benötigen würden.«
    Louise deutete auf das Glas in seiner Hand. » Ich glaube, du solltest damit vorsichtiger sein.«
    »Im Ernst, Louise. Solche Zufälle gibt es nicht. Es steckt mehr dahinter. Und denk nur an die Uhr im

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