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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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die Pferde als auch Muriel zeigten. Benjamin fragte sich, was Townsend mehr liebte, Dakota und Delight oder seine Tochter. Als sie sich der Bücherwand näherten, bemerkte Benjamin ein anderes Foto, das Townsend mit Vivian zeigte: Sie standen Arm in Arm vor einem schneeweißen Mustang Shelby. Zwei parallele blaue Streifen führten von der Spitze bis zum Heck, und hinzu kamen Türschwellerstreifen mit einem GT350-Schriftzug. Ein
65er Shelby, erkannte Benjamin, bestens restauriert. Offenbar mochte Townsend teure Spielereien.
    »Inzwischen sind wir Freunde, nicht wahr?«, fragte Townsend. Es schien eine rhetorische Frage zu sein, denn er fügte sofort hinzu: »Und weil wir Freunde geworden sind, möchte ich Ihnen etwas zeigen, Benjamin.«
    Er drückte mit beiden Händen auf eine bestimmte Stelle der Bücherwand, und Benjamin hörte ein leises Klicken. Ein Teil der Regalwand ließ sich zur Seite ziehen, und es entstand ein Durchgang zu einem anderen Zimmer. Townsend trat durch die Öffnung, schaltete das Licht ein und breitete die Arme aus. »Meine kleine Sammlung«, sagte er.
    Benjamin blieb in der Mitte des Zimmers stehen und drehte sich langsam um die eigene Achse. Abgeschlossene Schaukästen zogen sich an den weißen Wänden entlang, in ihnen Schusswaffen aller Art, von kleinen Pistolen bis hin zu großen Gewehren.
    »Waffen haben Sie immer fasziniert, nicht wahr, Benjamin ?«, fragte Townsend.
    Der Beobachter in Benjamin duckte sich argwöhnisch, hielt aber weiterhin Ausschau und spitzte noch immer die Ohren.
    »Ich fand sie einmal interessant«, antwortete er vorsichtig.
    »Und jetzt nicht mehr?« Es schien wieder eine rhetorische Frage zu sein, denn Townsend lächelte kurz, öffnete einen Schaukasten, nahm eine der Waffen und legte sie auf den Tresen in der Mitte des Raums, direkt vor Benjamin. »Was ist das?«
    Ein Blick auf die Waffe genügte Benjamin, um sie zu identifizieren. »Ein Colt Python mit Nickelfinish, Kaliber 357 Magnum.«

    »Nehmen Sie ihn, Benjamin.«
    Er starrte auf den Revolver hinab und zögerte zwei oder drei Sekunden. Dann bewegte sich seine rechte Hand, nahm die Waffe am braunen Griff und hob sie.
    »Wie fühlt es sich an, Benjamin?«
    Das Ungeheuer in Benjamin hob den Kopf und knurrte.
    »Ich weiß nicht«, sagte er, aber das stimmte nicht. Der Revolver in seiner Hand fühlte sich angenehm vertraut an, als gehörte er genau dorthin, zwischen seine Finger, die ihn wie zärtlich hielten.
    »Schließen Sie die Augen und sagen Sie mir, was Sie sehen, Benjamin.«
    Er schloss die Augen und sah das Gesicht eines Mannes, den Mund zu einem wortlosen Schrei geöffnet. Wie in Zeitlupe schüttelte er den Kopf, wobei Schweißtropfen von Wangen und Haaren stoben. Es knallte, gedämpft und fern, und Benjamin sah die Kugel, einen silbergrauen Todesbringer, der sich dem Mann in die Stirn bohrte. Der Getroffene blinzelte noch einmal, und eine Perlenkette aus kleinen und mittelgroßen Blutstropfen flog aus dem Loch in der Stirn, während die Kugel Hirngewebe zerfetzte.
    »Nichts«, log er. »Ich sehe nichts.«
    Als er die Augen wieder öffnete, stand Townsend auf der anderen Seite des Tresens und lächelte. »Richten Sie die Waffe auf mich, Benjamin.«
    »Was?«
    »Zielen Sie auf mich. Nur zu.«
    Langsam hob er den Revolver, bis der Lauf auf Townsends Brust zeigte. Anspannung erfasste ihn. Der Wunsch war groß, den Hahn zu ziehen und abzudrücken, und vielleicht
hätte er es tatsächlich getan, wenn die Waffe geladen gewesen wäre. Aber ihr Gewicht verriet ihm, dass nur leichte Platzpatronen in der Trommel steckten. Townsend ging kein Risiko ein.
    »Schießen Sie, Benjamin.«
    »Nein, ich …«
    »Schießen Sie!«, rief Townsend.
    Benjamin starrte ihn an, der eine Teil erschrocken, der andere mit einem verborgen bleibenden wissenden Lächeln. Townsend wollte ihn auf die Probe stellen.
    »Nein«, sagte er und legte den Colt Python auf den Tresen. »Ich will nicht auf Sie schießen.«
    »Warum nicht, Benjamin? Weil wir Freunde geworden sind?«
    »Ich möchte nicht auf Menschen schießen.«
    »Das ist gut«, sagte Townsend leise. »Das ist sehr gut.« Er nahm den Revolver und drückte ihn vorsichtig in seine Halterung im Schaukasten. Dann winkte er Benjamin zu sich. »Sehen Sie sich diese Waffe an. Sie ist mein bestes Stück. Darauf bin ich besonders stolz.«
    Benjamin trat näher, und sein Blick fiel auf einen anderen Colt, den er schon einmal gesehen hatte …

    Zwei Tage später war Benjamin mit seinen

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