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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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gewinnen begann, tauchten andere Erinnerungen auf und nahmen seine volle Aufmerksamkeit in Anspruch.
    Benjamin schnappte nach Luft, stützte sich an der Wand ab und kämpfte gegen die memoriale Flutwelle an. Mehrere kritische Sekunden vergingen, während derer sein Bewusstsein auf einem schmalen Grat wandelte, dann wichen die Erinnerungen – und es waren Erinnerungen – in die dunklen Gewölbe des Unbewussten zurück.
    »Sieh dir das an, Ben!«
    Ein wenig Licht kam hinter der Regalwand hervor, die Louise beiseitegeschoben hatte, und Benjamin trat darauf zu. Hinter den Regalen fand er eine schmale Wendeltreppe aus Metall, die nicht einen einzigen Rostfleck aufwies und aussah, als wäre sie erst vor einigen Stunden montiert worden. Mehr Licht kam von unten.
    Benjamin ging die Stufen hinunter.

    Als er das Ende der Treppe erreichte, wurden seine Augen groß.
    Der Lichtkegel der Taschenlampe, die Louise in einer Schublade der Vitrine gefunden hatte, strich durch einen Saal, dessen Ende irgendwo in der Dunkelheit verborgen lag. Benjamin schätzte die Breite auf dreißig bis vierzig Meter, und wohin er auch sah: Überall lagen, standen und hingen Waffen aller Art. In Regalen und an Halterungen an den Wänden, in Schaukästen und auf Tresen, in den zahlreichen Fächern bis zur Decke reichender Raumteiler, die an die Bücherwände in der Bibliothek erinnerten – alles war voller Waffen.
    Louise drückte die Hand auf eine weiße Fläche an der Wand.
    Langsam wich die Dunkelheit aus dem Saal.
    Licht breitete sich aus, ohne dass irgendwo Lampen oder Leuchtstoffröhren zu erkennen waren, mattes Licht, das aus der leeren Luft kam und die Finsternis aus allen Winkeln und Ecken vertrieb. Und in diesem Licht sah Benjamin, dass der Saal endlos zu sein schien. Die Tresen und Raumteiler mit den Fächern schrumpften in perspektivischer Verkleinerung, wurden in der Ferne zu Punkten und Strichen.
    »Die Zimmer oben sind nur ein Aperitif«, sagte Louise. »Dies ist der Hauptgang.«
    Die beiden Räume oberhalb der Treppe enthielten Hunderte von Pistolen, Revolvern und Gewehren, aber hier lagerten Hunderttausende, oder gar Millionen Waffen, unter ihnen auch Maschinengewehre und leichte Geschütze. Sie schienen darauf zu warten, dass ein neuer Weltkrieg ausbrach.

    Benjamin sah nicht nur Vertrautes. Der Eingangsbereich des eigentlichen Arsenals war altertümlichen Waffen vorbehalten, unter ihnen Vorderlader mit Steinschlössern, aber je weiter sein Blick durch den Saal wanderte, desto moderner wurden die Waffen, bis sie schließlich ein futuristisch anmutendes Entwicklungsstadium erreichten. Am Rand seiner Sichtweite, dort, wo die Umrisse einzelner Objekte miteinander verschwammen, lagerten einige Gegenstände, die gar nicht mehr als Waffen zu erkennen waren, unter ihnen etwas, dass aussah wie eine Rüstung aus Leichtmetall, mit beweglichen Segmenten und nach vorn gerichteten dornartigen Erweiterungen an den Armen.
    Von der Vergangenheit in die Zukunft, dachte Benjamin und glaubte, Hannibals Stimme zu hören: Die Zeit ist asynchron .
    »Wenn das hier in die falschen Hände gerät …«, sagte Louise.
    »Das werden wir verhindern«, erklang eine andere Stimme.
    Eine Hand aus Eis schloss sich um Benjamins Herz, als er sich umdrehte. Drei Streuner standen im Eingang des Arsenals, und zwei weitere kamen die Treppe herunter.
    »Louise, Benjamin …« Dago verbeugte sich spöttisch und nahm dabei seinen Dreispitz ab. »Ich danke euch, dass ihr uns den Weg gezeigt habt. Ich muss sagen, dies übertrifft meine kühnsten Erwartungen.«
    Neben ihm standen seine Partnerin Jasmin und der Mann, den Benjamin erschossen und dessen Pistole er an sich genommen hatte. In den Augen des Wiederauferstandenen blitzte es zornig. Rhythmisches Klacken kündigte zwei weitere die Treppe herunterkommende Streuner an.

    Dago richtete sich wieder auf und lächelte ein kühles, überlegenes Lächeln.
    »Jasmin, du verdammte Schlampe!«, zischte Louise. »Wir haben noch eine Rechnung offen.«
    »Wir können sie sofort begleichen, wenn du möchtest«, sagte Jasmin und richtete eine Armbrust auf sie.
    »Bleib ruhig«, flüsterte Benjamin der jungen Frau an seiner Seite zu.
    »Ja, lasst uns ruhig bleiben«, sagte Dago und kam langsam näher. Deutlich zeigte sich der rote Striemen an seinem Hals, doch Benjamins Blick galt der Waffe im Gürtelhalfter, dem verchromten Colt mit dem weißen Griff. »Gefällt dir mein Revolver?« Dago zog ihn, spannte spielerisch den Hahn und

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