Die Stadt - Roman
leer, und nichts ließ erkennen, wofür man sie einst verwendet hatte. An manchen Stellen ragten rostige Nägel aus den Wänden, aber was auch immer sie einst gehalten hatten, war ebenso verschwunden wie die Einrichtung der Zimmer weiter oben.
Benjamin stand im Flur. Nur wenig Licht kam von den kleinen, schmutzigen Fenstern. »Vielleicht will die Stadt nicht, dass ich das Arsenal finde.«
Louise rollte mit den Augen. »Du solltest dich hören, Ben.«
Benjamin sah sie ernst an. »Hältst du mich für verrückt?«
»Ach, Ben.« Louise seufzte. »Nein, ich halte dich nicht für
verrückt, wenn dich das beruhigt, aber du bist noch immer geschwächt. Kein Wunder, dass in deinem Kopf das eine oder andere durcheinandergeraten ist. Ich hätte darauf bestehen sollen, dich zum Hospital zu bringen.«
»Es muss hier irgendwo sein.« Benjamin begann damit, die Wände abzutasten.
»Du hältst mich für die Françoise aus deinen Träumen; und diese Träume verwechselst du mit Erinnerungen«, sagte Louise müde. »Und du hältst die Waffensammlung für das Arsenal. Kommt dir das nicht selbst ein bisschen weit hergeholt vor?«
Erste Zweifel regten sich in Benjamin, aber er ließ sich nichts anmerken und fuhr damit fort, die Wände abzuklopfen. Er hatte das Gebäude ganz deutlich gesehen, für einen Sekundenbruchteil, als Townsend nach der Waffe gegriffen hatte, auf die er besonders stolz war. Aber das Amtsgericht enthielt an die hundert Zimmer, und wenn er in ihnen allen die Wände abtasten wollte, ohne eine einzige Stelle außer Acht zu lassen … Es hätte Tage gedauert, und so viel Zeit blieb ihnen nicht.
Aber der Keller … Er fühlte sich richtig an. Vielleicht deshalb, weil Laurentius Recht hatte und wirklich alles miteinander in Verbindung stand. Benjamin versuchte sein Bewusstsein von allem Ballast zu befreien und sich allein von Gefühl und Intuition leiten zu lassen. Er schloss die Augen und rief ein Erinnerungsbild ab, von dem kein gefährlicher Sog ausging, weil es seine Aufmerksamkeit schon einmal gefangen und gefesselt hatte. Noch einmal sah er, wie sie durch den privaten Salon gingen und Townsend auf eine bestimmte Stelle der Bücherwand drückte. Er merkte sich ihre Höhe
und die Entfernung zu den Wänden rechts und links, aber als er die Lider wider hob, sah er eine aus ehemals weiß getünchten und längst grau gewordenen Steinen bestehende Kellerwand, die kleiner war als die Bücherwand in Townsends Salon, und auch niedriger. Er trat noch einen Schritt näher …
Unter ihm gab etwas nach.
Schnell wich er einen Schritt zurück, ging in die Hocke und wischte eine anderthalb Zentimeter dicke Schicht aus Staub ab, die sich in Jahrzehnten gebildet hatte. Zum Vorschein kam eine Klappe. Benjamin versuchte sie zu öffnen, aber es steckte zu viel Schmutz in den Fugen, und es gab keinen Ring, an dem man die Klappe hätte aufziehen können.
»Gib mir eins der Reservemagazine, schnell!«, stieß er aufgeregt hervor.
Louise, die noch immer die Pistole hatte, gab ihm ein leeres Magazin, und Benjamin setzte es am Rand an. Nach mehreren vergeblichen Versuchen gelang es ihm, die Klappe aufzuhebeln. Rostige Scharniere knarrten leise, als er sie aufzog. Eine Leiter führte in die Tiefe. Zu sehen waren nur die ersten Sprossen, ebenso rostig wie die Scharniere.
Louise hob die Hände und hielt sie mit den Innenflächen nach außen. »Nach dir, Ben.«
Er hatte den Fuß bereits auf der ersten Sprosse und begann mit dem Abstieg. Die Öffnung war gerade groß genug für seine Schultern, und weiter unten empfing ihn kühle, muffige Finsternis. »Haben wir eine Lampe?«, fragte er, und seine Stimme klang dumpf.
»Soll das ein Witz sein?«
»Oder Streichhölzer? Oder ein Feuerzeug?«
»Nein.«
»Ich sehe nicht einmal die eigene Hand vor Augen.«
»Warte, bis ich unten bin«, sagte Louise und kletterte die Leiter hinab.
Als sie neben ihm stand, kam ein wenig Licht durch die offene Luke, nicht mehr als ein schwaches Grau, das sich sofort in der Finsternis zu verlieren schien. Doch als Benjamin eine halbe Minute gewartet hatte, wirkte die Dunkelheit um ihn nicht mehr völlig undurchdringlich. Er glaubte, verschiedene Abstufungen von Schwarz zu erkennen.
»Glaubst du mir jetzt?«, fragte er leise.
»Wir haben noch immer nichts gefunden, Ben«, erwiderte die undeutliche Silhouette bei der Leiter. »Bis auf dieses finstere Loch.«
Benjamin ging los, den einen Arm nach vorn gestreckt und den anderen zur Seite. Ganz vorsichtig,
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