Die Stadt - Roman
unten, ohne dass die Draisine Bereitschaft zeigte, langsamer zu werden. Er schätzte ihre Geschwindigkeit auf inzwischen vierzig oder fünfzig Stundenkilometer, und das bedeutete: Sie konnten nicht mehr abspringen; dafür war es zu spät.
»Was auch immer passiert …« Louise wandte sich ihm halb zu, und der Fahrtwind blies ihr das Haar aus dem Gesicht. »Lass auf keinen Fall die Lampe los. Dann wäre es völlig finster, und ich hasse es, wenn es dunkel ist.«
Die Geräusche veränderten sich, wurden lauter und dumpfer, obwohl der Abstand zu Wänden und Decke gleich blieb.
Benjamin leuchtete erneut nach vorn, und diesmal blieb die Finsternis vor ihnen nicht völlig amorph – etwas glitzerte dort.
»Was ist das?«, übertönte Louises Stimme das Rattern.
»Keine Ahnung. Ich …« Das Glitzern wurde deutlicher. »Wasser! Dort vorn ist Wasser.«
Die Schienen verschwanden darin. Und etwa zwanzig Meter weiter hinten ragte etwas auf, keine Mauer mit einer Tunnelöffnung, sondern ein Wall aus Schutt, dunkel und massiv.
Es blieb ihnen keine Zeit, irgendwelche Vorbereitungen zu treffen. Benjamin dachte noch daran, zusammen mit Louise nach vorn zu kriechen und in dem Augenblick zu springen, in dem die Draisine das Wasser erreichte, aber sie waren viel zu schnell, und Benjamins Körper reagierte einfach zu langsam. Der Wagen aus rostigem Eisen und halb vermodertem Holz raste ins Wasser hinein, das wie eine Bremse wirkte, die plötzlich jemand betätigte.
Benjamin und Louise wurden von ihrem Bewegungsmoment nach vorn geschleudert.
Zum Glück prallten sie nicht gegen den Schuttwall, sondern stürzten ins Wasser, das eiskalt war, und tief. Benjamin bewegte die Beine, ohne dass die Füße den Grund berührten. Nach einigen orientierungslosen Sekunden schwamm er in die Richtung, die er für oben hielt, und schnappte erleichtert nach Luft, als sein Kopf die Wasseroberfläche durchstieß.
Es war nicht völlig dunkel, was ihn zugleich überraschte und erleichterte. Einige Meter weiter vorn, auf einem schmalen, uferartigen Streifen vor dem Schuttwall, lag seine Taschenlampe.
Neben ihm platschte es, und Benjamin packte Louise am Kragen ihrer Jacke. »Verdammt!«, stieß sie hervor und schnappte nach Luft. »Verdammt!«
Benjamin schwamm und zog Louise mit sich zum Ufer vor dem Wall.
»Geh nicht aus«, stöhnte die junge Frau und meinte die Lampe. »Geh bitte nicht aus.«
Wenige Sekunden später saßen sie auf dem Uferstreifen, Benjamin mit der Taschenlampe in der Hand, die wie durch ein Wunder heil geblieben war, und zitterten in der Kälte.
»Ich hab alles verloren«, sagte Louise und schlang die Arme um sich, als könnte sie auf diese Weise Wärme finden.
»Was hast du verloren?«
»All die Sachen aus dem Supermarkt. Ich hab den Inhalt meiner Taschen auf die Draisine gelegt, und jetzt liegen sie zusammen mit dem Ding irgendwo dort im Wasser. Was hast du eingesteckt?«
Benjamin legte die Lampe so zwischen zwei Steine, dass sie zur rissigen Betondecke leuchtete. Dann leerte er die Taschen von Parka und Hose.
»Kekse«, sagte Louise. »Und Zwieback. Voller Wasser und halb zermanscht.« Sie bohrte den Zeigefinger in die breiige Masse. »Was Besseres hast du im Supermarkt nicht gefunden?«
»Ich habe nach rechts und links gegriffen und mir die Taschen gefüllt«, verteidigte sich Benjamin. »Wir hatten es ziemlich eilig, erinnerst du dich?«
Im Widerschein des Lichts betrachtete er die Objekte auf dem Boden: eine Rolle Paketschnur, ein kleiner Plastikbehälter mit Nägeln, eine aufgerissene Packung Zwieback, der langsam in sich zusammensank, zwei Päckchen mit Keksen,
die ein ähnliches Schicksal erlitten wie der Zwieback, eine Dose Bohnensuppe, eine dicke Kerze, ein Stück Seife, das nach Lavendel roch, eine Tafel Schokolade und drei Dosen Premium-Bier.
Papier zerriss unter Louises Fingern, und sie steckte sich ein großes Stück Schokolade in den Mund. Dann öffnete sie eine Dose Bier und trank.
»Keine Batterien«, stellte sie fest. »Wie lange reichen die in der Lampe? Und an Streichhölzer oder ein Feuerzeug für die Kerze hast du nicht gedacht.«
»Zu jenem Zeitpunkt habe ich nur daran gedacht, den Supermarkt so schnell wie möglich zu verlassen.« Benjamin nahm ebenfalls eine Dose und trank.
»Als Ausrüstung für einen langen Marsch durchs Labyrinth gibt das nicht viel her«, sagte Louise und fügte spöttisch hinzu: »Da können wir von Glück sagen, dass uns gar kein langer Marsch bevorsteht. Von wegen
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