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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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jemand Wache hielt.
    Als sie das Gebäude am Ende des Parkplatzes erreichten, hatten sich Benjamins Augen wieder an die Dunkelheit gewöhnt. Der Eingang war nicht mehr mit Brettern versperrt. Hannibal hatte ihn zumauern lassen, aber anschließend war etwas von innen durch die Mauer gebrochen, mit solcher Wucht, dass es einen Teil der Wand völlig zertrümmert hatte.
    »Etwas hat von drinnen die Mauer durchbrochen«, sagte Louise verwundert.
    »Der Geiger hat etwas erwähnt, das aus dem Labyrinth gekommen ist«, sagte Benjamin. Er nahm erneut Louises Hand und stieg mit ihr über die Reste der Mauer hinweg. Finster erstreckte sich das Innere des Lagerhauses vor ihnen. Auch Abigale hatte von einem Etwas im Labyrinth gesprochen, als Benjamin sie und Hannibal im Hospital belauscht hatte.
    Die Taschenlampe fiel ihm ein, die er im Supermarkt an sich genommen hatte. Rasch holte er sie hervor und schaltete sie ein.
    Ihr Licht strich rechts über die Werkbank, auf der noch immer Karosserie- und Motorteile lagen. Links erhob sich das aufgebockte rostige Gerippe eines alten Fahrzeugs. Der Lampenschein reichte bis zur Rückwand, wo hinter dem Geländer eine Treppe in die Tiefe führte.
    »Hier liegen keine Werkzeuge«, sagte Louise. »Nicht ein Brecheisen oder so. Was ist so kräftig, dass es mit bloßen
Händen – oder was auch immer – eine Mauer durchbrechen kann?«
    In seiner Erinnerung hörte Benjamin Abigales Stimme hinter einer geschlossenen Tür. Etwas, das fähig ist, die dicken Mauern einzureißen, die deine Leute vor fast sechzig Jahren errichtet haben, könnte irgendwann den Ausgang finden und zu uns kommen , ob uns das gefällt oder nicht. Wir müssen herausfinden, was es ist.
    »Keine Ahnung«, erwiderte Benjamin.
    »Vielleicht sollten wir in die Stadt fliehen.« Louise wollte nach draußen zurückkehren, aber Benjamin hielt sie fest. Der kühle Wind wehte Stimmen heran, und Licht tastete über den dunklen Parkplatz. Benjamin schloss die Hand ums vordere Ende der Taschenlampe und dämpfte so ihren Schein; seine Finger färbten sich rot. »Ich schätze, das sind Hannibal und die anderen. Vielleicht hat uns jemand von ihnen gesehen, als wir aus dem Hotel kamen.«
    Sie liefen zur Treppe, die in dunkle Tiefen führte.

In dunklen Tiefen

48
    Zwanzig Stufen nach unten, dann drei Schritte nach links und eine zweite Treppe hinab, noch einmal zwanzig Stufen. Als Benjamin zum ersten Mal diesen Weg genommen hatte, war es dunkel gewesen; jetzt gestattete er sich ein wenig Licht zwischen den Fingern vor dem Glas der Taschenlampe. Am Ende der zweiten Treppe erwartete sie die Metalltür, die bei seinem ersten Ausflug in die dunkle Tiefe halb offen gestanden hatte. Jetzt war sie geschlossen, und für einen Moment befürchtete Benjamin, dass sie verriegelt sein könnte. Aber sie ließ sich öffnen, als er die Klinke drückte, und er stieß sie ganz auf.
    Auf der anderen Seite drückte er sie wieder zu und nahm die Hand vom Glas der Lampe. Es wurde heller.
    »Wir müssen die Tür irgendwie blockieren.«
    Es standen nicht mehr zwei Schubkarren in der Nähe, sondern nur noch eine, darin ein halb mit Wasser gefüllter Eimer. Hannibals Leute hatten hier unten unmittelbar nach der Rückkehr von Petrows Expedition mit dem Bau einer Mauer begonnen und sie vermutlich ein oder zwei Tage später fertiggestellt, aber das vom Geiger erwähnte Etwas hatte sie zerschmettert. Überall lagen Steine verstreut, und die
Mauer wies ein großes Loch auf, das vom Boden bis zur Decke reichte.
    »Das gefällt mir ganz und gar nicht«, sagte Louise leise und spähte argwöhnisch in die Dunkelheit jenseits der Mauerreste.
    »Hilf mir mit der Schubkarre.« Benjamin nahm den Eimer heraus, drehte die Schubkarre zusammen mit Louise und stellte sie so auf, dass sich die Kante direkt unter der Klinke befand und die Griffe auf dem Boden ruhten.
    »Das hält nicht lange«, sagte Louise skeptisch, als sie ihr Werk im Licht der Taschenlampe betrachteten.
    »Aber hoffentlich lange genug.«
    Sie traten durchs Loch in der Mauer in einen Tunnel, der nach zwei Dutzend Schritten zu einer weiteren Treppe führte, viel länger und steiler als die beiden anderen. Nach fast hundert Stufen erreichten sie ihr Ende und den Tunnel mit den Schienen. Dort stand auch die von Benjamin erwartete Draisine auf den Gleisen, und dahinter endete der Tunnel an einer Betonwand.
    »Da ist unser Transportmittel.« Benjamin sprang auf die Draisine und half Louise hoch. Sie griffen nach dem

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