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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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eine gerade beginnende Party. Katzmann und Louise hatten Holz gesammelt, in einer der leeren Wohnungen im einundsechzigsten Stock ein Feuer angezündet und aus den Lebensmittelvorräten der Küche einen leckeren Eintopf zubereitet. Im Salon des Penthouse-Apartments erwarteten die beiden müden Kletterer ein Feuer im Kamin, ein gedeckter Tisch und eine geöffnete Flasche Medizin, nur noch halb voll.
    »Überraschung!«, rief Louise und breitete die Arme aus. Ihre Augen glänzten. Von der Medizin, hoffte Benjamin.
    Vom Topf in der Mitte des Tisches ging ein verlockender Duft aus. Zwei Kerzen brannten rechts und links.
    Velazquez legte die Staffelei beiseite, griff nach der Flasche Medizin und nahm ein Glas. »Ihr habt einen Vorsprung, den es aufzuholen gilt«, sagte er zu Katzmann und Louise.
    Benjamin sank dankbar auf einen Stuhl, ein recht nachdenklich wirkender Kowalski kam von der Dachterrasse, sie
stießen an und genossen die Mahlzeit. Das Feuer im Kamin wärmte den Salon und hielt die Kälte fern, die mit dem Nebel gekommen war, das Essen brachte Wärme in den Bauch, und Benjamin fühlte sich nach und nach von Wohlbehagen erfasst. Jenseits der Fenster neigte sich der Tag dem Ende entgegen, und drinnen verbreiteten ein großes und zwei kleine Feuer goldenes Licht. Benjamin beschloss, es bei zwei Gläsern Medizin zu belassen, doch beim dritten Glas warf er alle Bedenken über Bord, und als sie Louises zweite Flasche öffneten, begann Katzmann zu singen.
    »So höre meinen Sang!
Ich will dir singen
Von einem flinken Jüngling
Es war das Olaf Åsteson,
Der einst so lange schlief.
Von ihm will ich dir singen.
Er ging zur Ruh’ am Weihnachtsabend.
Ein starker Schlaf umfing ihn bald,
Und nicht konnt’ er erwachen,
Bevor am dreizehnten Tag
Das Volk zur Kirche ging.
Es war das Olaf Åsteson,
Der einst so lange schlief.
Von ihm will ich dir singen.
Er ging zur Ruh’ am Weihnachtsabend.
Er hat geschlafen gar lange!
Erwachen könnt’ er nicht,
Bevor am dreizehnten Tag
Der Vogel spreitet die Flügel …«
    Katzmann unterbrach sich und trank einen Schluck. Louise und Velazquez klatschten. Der noch immer sehr nachdenkliche Kowalski stand auf und kehrte zu seinen Instrumenten auf der Dachterrasse zurück. Benjamin saß zurückgelehnt da, in wonnige Zufriedenheit gehüllt, nippte an seinem vierten Glas, sah Louise an und staunte darüber, wie sehr ihm ein paar Schlucke von der Medizin die Augen für ihre Schönheit öffneten. Sie bemerkte seinen Blick.
    »Kennst du das Lied?«, fragte sie.
    »Was? Ja. Das Traumlied von Olaf Åsteson. Eine alte norwegische Ballade.«
    »Kannst du Norwegisch, Ben?«
    »Nein.«
    »Aber du hast den Text des Lieds verstanden, nicht wahr?«
    Wie nett sie lächelt, dachte Benjamin. Fast so nett wie … Er suchte nach dem Namen, der eben noch durch sein Bewusstsein gewandert und plötzlich verschwunden war. So leicht vergessen … Er konnte keine große Rolle spielen.
    »Ja, natürlich, jedes Wort.«
    »Aber Katzmann hat in seiner Muttersprache gesungen, auf Norwegisch.«
    Velazquez leerte sein Glas, stellte es ab und sagte: »Zeit für ein Meisterwerk.« Er verließ seinen Platz am Tisch, holte die Farben aus seinem Rucksack und machte sich an den Aufbau der Staffelei.
    »Das Lied geht noch weiter«, verkündete Katzmann und sang erneut. Aber diesmal hörte Benjamin nur mit halbem Ohr hin und fragte sich, welche Sprache sie die ganze Zeit über gesprochen hatten. Deutsch natürlich, oder? Oder?

    Louise füllte sein Glas, und er trank einen Schlank, um Ordnung in seine Gedanken zu bringen.
    »Wir sprechen alle die gleiche Sprache«, sagte sie. »Woher wir auch kommen, aus welchem Land und von welchem Kontinent … Wir verstehen uns alle, obwohl wir jeweils unsere Muttersprache sprechen.«
    Benjamin dachte darüber nach und war noch zu keinem Ergebnis gelangt, als Katzmann seine Vorstellung beendete mit:
    »Groß stand da Sankt Michael
und wog auf seiner Waage,
wog die Seelen Christus zu,
dass er die Sünder trage.«
    Diesmal klatschte Louise allein, denn Velazquez war mit Farben und Staffelei beschäftigt und Benjamin so tief in Gedanken versunken, dass er sogar sein Glas vergessen hatte. Er blickte erst auf, als Kowalski von der Dachterrasse kam und sagte: »Die Lage ist sehr, sehr ernst.«
    Sie schien so ernst zu sein, dass er eine Stärkung brauchte. Er nahm die Brille mit den rechteckigen Gläsern ab, rieb sich die Augen, ergriff ein mit Medizin gefülltes Glas und leerte es

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