Die Stadt - Roman
Pfütze und der Kopf halb in der eigenen Kotze.
Nebelschwaden zogen über ihn hinweg, kalt und grau.
Ich muss aufstehen und weg von hier, dachte er, aber er konnte sich nicht bewegen. Er trug keine Fesseln – Schwäche hielt ihn fest.
In den trägen grauen Wogen bewegte sich etwas. Beine schnitten wie Messer durch die Schwaden, muskulös und pelzbesetzt. Sie trugen einen krötenartigen Körper, aus dem vorn ein breiter Kopf ragte, darin Augen wie die eines Krokodils und ein Maul mit Zähnen wie Dolche. Einige Meter entfernt blieb die Kreatur stehen, neigte den Kopf von einer Seite zur anderen und schnüffelte.
Benjamin lag mucksmäuschenstill und hielt unwillkürlich den Atem an.
Die Kreatur schnaubte leise, schnüffelte erneut, drehte den Kopf und sah in seine Richtung. Sie näherte sich, mit der geschmeidigen Eleganz einer Raubkatze, und ein dumpfes Knurren kam aus ihrer Kehle.
Benjamin wollte aufspringen und loslaufen, aber sein Körper verweigerte ihm auch diesmal den Gehorsam. Ihm war noch immer speiübel, und er fühlte sich vollkommen ausgelaugt. Für einen Moment fragte er sich, ob er durch den Kontakt mit dem Schatten gestorben und gerade wieder zum Leben erwacht war. Und wenn ihn dieses Wesen zerriss und verschlang? Würde er auch dann ins Leben zurückkehren?
Benjamin wollte es nicht herausfinden.
Die Kreatur kam so nahe heran, dass er ihren Atem riechen konnte, der noch schlimmer stank als sein Erbrochenes. In den Reptilienaugen schien ein Licht zu funkeln, als sie ihn anstarrten, wie überrascht von dieser unverhofft auf der Straße liegenden Mahlzeit. Das Wesen knurrte noch einmal, öffnete den Rachen …
Ein Schuss krachte, und ein kleine Fontäne aus dunklem Blut spritzte aus der Stirn der Kreatur. Der Kopf ruckte herum, das Geschöpf fauchte zornig und voller Schmerz, es duckte sich zum Sprung …
Das Knallen wiederholte sich, und dann noch zweimal schnell hintereinander, als die Kreatur trotz der tödlichen Verletzungen sprang. Unmittelbar darauf platschte es laut – offenbar war die Kreatur in eine Pfütze gefallen –, und dann folgte eine Stille, in der Benjamin lauter als jemals zuvor den Trommelwirbel seines Herzens hörte.
Schritte näherten sich, und ein Gesicht erschien über ihm: schmal, bärtig und abgezehrt, die Wangen eingefallen, die Augen tief in den Höhlen liegend, das aschblonde Haar lang und struppig. Ein Streuner?
»He, du wärst fast ein leckerer Happen für das Biest geworden. Was ist mit dir? Kannst du aufstehen?«
Benjamin konnte nicht einmal den Kopf schütteln. Er versuchte zu sprechen, doch es wurde nur ein Krächzen daraus.
In den dichter werdenden Nebelschwaden knurrte und zischte es.
»Ich schätze, wir sollten besser von hier verschwinden.« Der Mann drehte Benjamin auf die Seite, wodurch sein Gesicht in das Erbrochene geriet, und packte ihn am Parka. »Du stinkst, mein Junge. Das Zeug müssen wir abwaschen.«
Benjamin wurde auf recht unsanfte Weise herumgezerrt, und die Pfütze, in der bis eben seine Beine gelegen hatten, erschien direkt vor ihm – der Mann tauchte ihn hinein.
»So, und jetzt machen wir es uns in dem Haus dort gemütlich, bis sich der Nebel verzieht.« Der Mann zog ihn am Parka über den Bürgersteig und in einen Hauseingang. Das Gesicht hatte abgehärmt ausgesehen, aber der Streuner schien recht kräftig zu sein. »Bist einer von den Gemeinschaftstypen, was? Vielleicht kann ich dich als Geisel gebrauchen. Was hast du denn da in dem Rucksack? Dinge, die ich gebrauchen kann?«
Benjamin war noch immer von Schwäche gelähmt und fragte sich, ob er vom Regen in die Traufe geraten war.
29
»Ich habe Hunger«, brachte Benjamin hervor, als der Schmerz nachließ. Er lag in einer Ecke des Zimmers, in das der Streuner ihn geschleift hatte, auf harten, kalten Fliesen.
»Kein Wunder, dass dein Magen leer ist, nach all der Kotzerei.« Der Mann saß einige Meter entfernt an einer offenen Feuerstelle. Benjamin erinnerte sich daran, die Asche auf dem Boden gesehen zu haben, als der Streuner ihn hereingezogen hatte. Jemand war vor ihnen hier gewesen, irgendwann, und hatte auf den Fliesen ein Feuer angezündet. Hinter dem Mann lag Gerümpel an der Wand, die Reste von Möbeln und Kleidungsstücken.
Der Streuner saß auf etwas, das einmal die Rückenlehne eines Sessels gewesen war, und neben ihm lag Benjamins Rucksack. Er hatte ihm mehrere Konserven entnommen, zwei geöffnet und die mit den Bohnen in wenigen Minuten geleert. Jetzt machte er sich
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