Die Stadt - Roman
Benjamin lag irgendwo im Staub, der Körper bekleidet, doch Geist und Seele nackt, von dunklen, kalten Händen betastet. Er versuchte, die Augen zu öffnen, aber vielleicht waren sie schon offen, denn er sah eine Straße, oder etwas, das wie eine Straße aussah, der Asphalt von langen Rissen durchzogen. Dünne graue Nebelschwaden krochen darüber hinweg.
Die Gezeiten, dachte er alarmiert. Die Flut des Nebels kommt, und mit ihm die Kreaturen. Ich muss mich in Sicherheit bringen!
Eine schwarze Hand erschien vor seinem Gesicht und berührte seine Augen. Wieder kam es zu etwas, das sich wie ein elektrischer Schlag anfühlte, der diesmal vielleicht noch heftiger ausfiel.
Die Straße verschwand.
Das Wasser reichte überall bis zum Horizont, und nirgends war ein Schiff oder ein Boot in Sicht. Ein Mann schwamm dort, und Erleichterung breitete sich in seinem Gesicht aus, als er ihn sah.
Sie verschwand sofort wieder und wich Entsetzen, als er die Hand ausstreckte und ihm den Kopf unter Wasser drückte. Der Mann versuchte sich zu wehren, aber er war viel stärker und hielt den Kopf des anderen unter Wasser gedrückt, bis alle Bewegungen aufhörten.
Der Mann wich langsam zurück, als er die Pistole hob: ein Stück Metall in seiner Hand, auf den Mann dort gerichtet. Es krachte, so laut wie ein Lastwagen, der eine Leitplanke durchbrach, und die Kugel schlug in den Kopf des Mannes, zerfetzte einen Teil seines Gehirns, löschte Gedanken und Gefühle aus, setzte allen Hoffnungen und Plänen dieses Menschen ein Ende.
Was ist mit mir los?, dachte Benjamin, und es waren seine eigenen Gedanken, diesmal war er sicher. Er versuchte die Lider zu heben, aber sie wollten noch Leinwand für eine weitere Szene sein.
Er konnte sich nicht bewegen. Etwas hielt ihn auf dem Stuhl vor dem Schreibtisch fest, hinter dem ein Mann saß und sprach, ohne dass er etwas hörte. Er hatte ein Summen in den Ohren, das für nichts anderes Platz zu lassen schien.
Der Mann hinter dem Schreibtisch sah wie ein in die Jahre gekommener Universitätsprofessor aus: seriös und intelligent, freundlich und geduldig, in den Augen besonnene Weisheit.
Es war ein Mann, dem man vertrauen konnte, aber er vertraute ihm nicht, denn er wusste: Dieser Mann wollte etwas mit ihm anstellen.
Er sah sich um, was ihm nicht ganz leichtfiel, denn etwas hielt auch seinen Kopf fest. Bücher standen in Regalen, aber es gab auch Geräte, von denen vielleicht das Summen in seinen Ohren stammte, Geräte, mit denen er verbunden war. Er senkte den Blick und stellte fest, dass er eine Art Kittel trug. In seiner linken Armbeuge steckte eine Injektionsnadel, verbunden mit einem dünnen Schlauch.
»Es ist wichtig«, kam die Stimme des Mannes aus der Ferne. Sein Name fiel ihm ein: José Maria Townsend. Und er war kein Universitätsprofessor, nein, das war er nicht. Er wollte irgendetwas mit ihm machen. Was, hatte er vergessen. »Hören Sie das?«
Aus dem Summen in den Ohren wurde ein Rauschen, wie von Wind in hohen Baumwipfeln. »Stellen Sie sich einen Wald vor, Benjamin. Einen Wald mit hohen Bäumen und einem dichten Blätterdach, durch das hier und dort Sonnenschein fällt. Stellen Sie sich den Wind in den Baumkronen vor. Er rauscht, fast wie das Meer. Hören Sie es?«
Ja, er hörte es ganz deutlich. Ein Rauschen wie von einer nahen Brandung. Aber es stammte vom Wind in den Baumwipfeln.
»Und jetzt denken Sie an Kattrin«, sagte Townsend. »Es ist eine positive Assoziation. Wir haben darüber gesprochen, Benjamin, erinnern Sie sich?«
Er fühlte ihre Hand in der seinen, obwohl er weder Hände noch Arme bewegen konnte. Er sah sie neben sich stehen, ihr braunes Haar zerzaust. Sie lachte.
»Warum lachst du?«, krächzte er. Seine Stimme klang anders, fand er. Selbst die eigenen Gedanken fühlten sich fremd an.
»Weil ich glücklich bin«, sagte Kattrin.
Halt, nein, die Worte stammten nicht von ihr, sondern von dem Mann hinter dem Schreibtisch, von Townsend. Auch er lächelte, aber er lächelte nicht, weil er glücklich war.
»So ist es richtig, Benjamin. Sie sind auf dem richtigen Weg.«
Und du bist auf dem Holzweg, dachte Benjamin. Ich werde dich töten, sobald ich diese Arme und diese Hände wieder bewegen kann.
Benjamin würgte, nicht zum ersten Mal, und etwas floss und spritzte aus ihm hinaus. Mühsam öffnete er die Augen, und noch bevor er etwas sah, stieg ihm der Gestank des eigenen Erbrochenen in die Nase. Er lag im Rinnstein, stellte er fest, die Beine in einer
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