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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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ihm selbst und der Situation galt, in der er sich befand. »Arschloch«, sagte er.
    »Was?«
    »So hat sie dich genannt. Arschloch. Und weißt du was? Ich glaube, sie hatte Recht.« Benjamin winkte mit der Waffe zu den Ruinen. »Gehen wir. Du machst den Anfang, und ich folge dir in einem Abstand von ein paar Metern. Und ich versichere dir, dass die Pistole die ganze Zeit über auf dich gerichtet bleibt.«
    Das Licht des falschen Mondes fiel auf ein erschrockenes Gesicht. »He, Benjamin, das kannst du doch nicht mit mir machen!« Laslo hatte die Arme noch immer erhoben, und mit einem deutete er zur Schneise. »Der Nebel kommt, sieh nur! Es wäre Wahnsinn, jetzt zu versuchen, die Ruinen zu
durchqueren. Wir würden die Bibliothek nie erreichen, bevor der Nebel da ist!«
    Benjamin zielte auf Laslos Gesicht. »Geh los.«
    »Was habe ich dir getan?«, jammerte Laslo. »Ich habe niemandem etwas getan!«
    Benjamin gab ihm einen Stoß, und Laslo taumelte von der Hauswand fort in Richtung der Ruinen. Was mache ich da?, dachte Benjamin, aber es war eine leise Stimme, die ihm diese Frage stellte. Eine viele lautere in ihm sagte: Du musst die Bibliothek erreichen, bevor dir der Nebel den Weg abschneidet.
    »Du hast keine Ahnung, wie gefährlich die Fallen sind!«, rief Laslo, als er die erste Ruine erreichte und mit großer Behutsamkeit einen Fuß vor den anderen setzte. »Sie …«
    Es knackte leise, etwas surrte nur ein wenig lauter, und plötzlich riss es Laslo von den Beinen. Er kam nicht einmal dazu, einen Schrei auszustoßen. Er schrie erst einen Moment später, als er mit dem Kopf nach unten an einem Seil hing und, von seinem eigenen Bewegungsmoment getragen, auf eine halb eingestürzte Mauer zuschwang, aus der genau in seiner Höhe eine spitze Metallstange ragte.
    Benjamin hörte ein knirschendes Geräusch, als sich die Stange in Laslos Rücken bohrte und ihre Spitze an der Brust wieder austrat. Der Schrei des Mannes verlor sich in einem Gurgeln, und dann herrschte Stille.
    Du hast ihn getötet, flüsterte es in Benjamin. Genauso gut hättest du auf ihn schießen können.
    Benjamin näherte sich der Stelle, an der die Seilfalle aktiv geworden war, blieb kurz davor stehen, sah zum Toten an der Mauer und versuchte sich mit dem Gedanken zu trösten,
dass er wieder zum Leben erwachen würde. Es war ein schwacher Trost. Er fühlte sich elend, als er durch die Ruinen zur Bibliothek blickte, von der ihn nicht einmal ein halber Kilometer trennte. Ein klar erkennbarer Weg führte an den Gebäuderesten und Schutthaufen vorbei durch die Nacht, und es schien nirgends nennenswerte Hindernisse zu geben, aber Benjamin fragte sich voller Unbehagen, was sich zu beiden Seiten dieses Weges in den Schatten verbarg. Er überlegte, ob er umkehren und abwarten sollte, bis es wieder hell wurde, doch als er den Kopf drehte, sah er Nebelschwaden über die Straße hinter ihm kriechen.
    Der Rückweg war abgeschnitten. Ihm blieb keine andere Wahl, als die Ruinen zu durchqueren.
    Benjamin bückte sich, nahm einige Steine und warf den ersten. Er fiel einige Meter weiter vorn in den Staub, ohne dass etwas geschah. Trotzdem wartete Benjamin noch etwas länger, bevor er einige Schritte machte, erneut stehen blieb und den zweiten Stein warf. Woraufhin es in einer nahen Mauer knirschte, ein dünner Schemen über den Weg raste und in den Resten eines Gebäudes auf der anderen Seite verschwand.
    Benjamin spürte, wie ihm kalter Schweiß ausbrach. Der Mond verschwand hinter einer Wolke, und die Schatten zwischen den Ruinen wurden dichter und größer, verbargen weitere Details. Wie auch der Nebel, der vom Stadtrand kam, Stück für Stück in die Schneise vorstieß und sich, etwas langsamer, auch zwischen den Ruinen ausbreitete. Am schnellsten drang er über die Straße hinter Benjamin vor, wie ein hungriges, amorphes Geschöpf, das Beute witterte. Leises Knurren ertönte dort aus den Schwaden.

    Wie viel Zeit blieb ihm? Benjamin verglich die Geschwindigkeit des heranziehenden Nebels mit der Distanz, die ihn von der Bibliothek trennte, und gelangte zu dem Schluss, dass er das Tor in einigen Minuten erreicht haben musste, wenn er nicht in den Nebel geraten wollte.
    Erneut warf er einen Stein und trat vor, als nichts geschah. Eine sehr zuverlässige Methode war das natürlich nicht: Vielleicht fiel der Stein auf die falsche Stelle – der Weg bot genug Platz für die Auslöser von Fallen. Benjamin sammelte weitere Steine und warf mehrere gleichzeitig, um die

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