Die Stadt - Roman
peitschenartigen Tentakeln, die wie fliegende Schlangen in die Grube schnellten, genau auf Benjamin zu.
Er drehte sich nach links, und ein Tentakel traf ihn an der rechten Seite, dort, wo der Parka bereits ein Schussloch aufwies. Stacheln bohrten sich in den Stoff, Widerhaken verfingen sich darin, und dann kam es zu einem Ruck, der Benjamin fast nach oben gerissen hätte. Mit der einen Hand hielt er sich an einem der aus dem Boden ragenden Speere fest, zielte mit der anderen und drückte ab.
Das Knallen des Schusses hallte unüberhörbar laut durch die Nacht. Über den beiden Reptilienaugen der Kreatur spritzte phosphoreszierendes Blut aus der geschuppten Stirn. Das Wesen schrie wie eine Katze, der man auf den Schwanz getreten war, schüttelte sich, verlor das Gleichgewicht und fiel in die Grube, wo sich ihm mehrere Speere in den Leib bohrten. Es floss noch mehr in der Dunkelheit leuchtendes Blut, und nach einigen letzten Zuckungen und einem wütenden Knurren blieb die Kreatur reglos liegen.
Ich habe mir gerade eine Treppe nach oben geschaffen, dachte Benjamin und versuchte beides im Auge zu behalten,
sowohl die Kreatur, deren massiger, schuppiger Leib fast bis ganz nach oben reichte, als auch die Ränder der Grube. Die anderen Wesen mussten den Schuss gehört haben, aber erstaunlicherweise näherten sich keine weiteren Geschöpfe. Benjamin hörte sie stapfen und kriechen, vernahm ihr Grollen und Schnaufen, aber es erschienen keine neuen Schemen neben der Grube.
Langsam stand er auf, die Pistole wieder nach oben gerichtet, als er einigermaßen sicher sein konnte, dass die von Speeren durchbohrte Kreatur wirklich tot war. Mit der freien Hand bemühte er sich, den Tentakel von seiner rechten Schulter zu lösen, der dort wie eine Klette haftete. Die ganze Zeit über lauschte er, nicht unbedingt nach den Geräuschen der Nebelwesen, sondern nach denen der Fallen. Doch es surrte nichts, und das einzige Knirschen schien von Pranken und Klauen auf staubigem Boden zu kommen, nicht aber von versteckten Mechanismen, die sich anschickten, Unvorsichtigen böse Überraschungen zu bescheren. Sein Gehirn arbeitete fieberhaft, als er langsam an den Speeren vorbeitrat und sich dem toten Geschöpf näherte, über dessen Kadaver er aus der Grube klettern konnte. War es möglich, dass der Nebel die Fallen neutralisierte, dass sie erst wieder aktiv wurden, wenn die grauen Schwaden zum Stadtrand zurückwichen ? Er wusste nicht, wie viele Kreaturen dort oben unterwegs waren, aber wenn der Nebel regelmäßig hierherkam, und mit ihm die Geschöpfe darin, hätte es nach einiger Zeit kaum mehr einsatzbereite Fallen geben können, weil zu viele von umhertappenden Wesen ausgelöst worden waren.
Neben dem stinkenden dunklen Schuppenberg verharrte Benjamin und horchte. Nach und nach wurde es wieder still,
und nur noch vereinzelt kam ein Knurren aus dem Nebel. Als er eine Zeit lang nichts anderes gehört hatte als seinen eigenen Atem, zögerte Benjamin nicht länger und kletterte, die Pistole in der rechten Hand, an dem Kadaver hoch zum Rand der Grube. Dort spähte er in den dichten Nebel – die Sichtweite betrug nicht mehr als zehn oder fünfzehn Meter. Er versuchte sich zu orientieren: Er war von dort gekommen, was bedeutete, dass sich die jetzt im Nebel verborgene Bibliothek da drüben befand. Wie viele Meter trennten ihn noch von dem Gebäude? Er war losgelaufen, als die Entfernung etwa zweihundert Meter betragen hatte, und er glaubte, ungefähr fünfzig Meter weit gekommen zu sein.
Benjamin kletterte ganz aus der Grube, blieb an ihrem Rand stehen, horchte und wünschte sich Radaraugen. Der Nebel war in Bewegung, zog in dichten Schwaden dahin, verhüllte Ruinen und deckte Mauerreste zu. Benjamin orientierte sich erneut, ging geduckt los und hielt die Pistole schussbereit. Mehrmals erschienen Schemen im Nebel, aber wenn ihre Umrisse etwas mehr Substanz bekamen, waren es keine Kreaturen, sondern Säulenstümpfe oder Schutthaufen. Nach etwa zehn Metern hatte Benjamin noch immer keine Falle ausgelöst und wagte zu hoffen.
Hinter ihm zischte es.
Das Schlangenwesen mit den beiden Köpfen, das er zuvor im Nebel auf der Straße gesehen hatte, ragte dort halb aus dem dichten Grau und starrte ihn aus vier schwarzen Augen an. Zungen tasteten aus den Mäulern und nahmen Witterung auf.
Benjamin verzichtete darauf, die Pistole zu heben – er hätte gar nicht gewusst, auf welchen Kopf er zuerst schießen
sollte. Er lief los, dorthin, wo er die
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