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Die Stadt - Roman

Titel: Die Stadt - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Brandhorst
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Wahrscheinlichkeit eines Treffers zu erhöhen. War sein Abstand groß genug? Oder riskierte er, von einer Falle erfasst zu werden, die er auf diese Weise selbst auslöste? Meter um Meter arbeitete er sich an den Ruinen vorbei. Von wem stammten diese Fallen?, überlegte er. Welchen Zweck erfüllten sie? Gingen sie auf die Erbauer der Stadt zurück? Plötzlich bedauerte er sehr, dass er keine Gelegenheit gefunden hatte, mit Laurentius darüber zu reden. Er wäre sicher in der Lage gewesen, ihm den einen oder anderen Tipp zu geben.
    Auf halbem Wege durch die Ruinen begriff Benjamin, dass er es nicht rechtzeitig schaffen konnte. Er war noch etwa zweihundert Meter von der Bibliothek entfernt, und wenn der Mond hinter einer Wolke hervorkam, sah er durchs Tor Louise auf dem Innenhof liegen. Aber der Nebel war inzwischen so nahe, dass Benjamin Bewegungen von Kreaturen darin bemerkte und ein Geräusch wie von knirschenden Zähnen hörte. Einige Ausläufer des Nebels krochen an der hohen Mauer der Bibliothek entlang zum Tor, als ahnten sie, wohin er wollte, und als seien sie bestrebt, ihn an seinem Ziel zu empfangen. Benjamin warf einen Blick über die Schulter.
Der Nebel hatte inzwischen den toten Laslo verschluckt, glitt lautlos über den Weg, tastete sich über niedrige Mauerreste und Schutt. Er teilte sich kurz, wie von Wind erfasst, und für ein oder zwei Sekunden zeigte sich in den grauen Schwaden ein Wesen, das wie eine große doppelköpfige Schlange aussah.
    Benjamin wusste, dass es alles auf eine Karte zu setzen galt. Er bückte sich, nahm möglichst viele Steine und warf sie nach vorn auf den Weg. Es knackte und knirschte, und mehrere Pfeile und Speere rasten durch die Nacht. Als wieder Ruhe einkehrte, lief Benjamin los und warf die restlichen Steine so weit wie möglich nach vorn.
    Er hörte das Geräusch der eigenen Schritte, unnatürlich laut und begleitet von einem kehligen Knurren aus dem Nebel.
    Dann gab der Boden unter ihm nach.
    Ein triumphierend klingendes Fauchen kam aus den Schwaden hinter Benjamin, als er mit der linken Schulter an etwas vorbeischrammte und dann auf einen in der Dunkelheit verborgenen Boden prallte. Schmerz durchzuckte ihn, und er blieb benommen liegen.

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    Um ihn herum ragten Speere auf, und er verdankte es reinem Glück, nicht aufgespießt worden zu sein. Er war genau in die Lücke zwischen zwei spitzen Stangen gefallen und hatte eine von ihnen nur mit der Schulter gestreift.

    Benjamin atmete schwer und drehte sich auf den Rücken, was ihm neuen Schmerz bescherte. Hatte er sich etwas gebrochen?
    Er griff in die Parkatasche und holte die Pistole hervor, die er zuvor eingesteckt hatte, um beide Hände für die Steine frei zu haben. Mit dem Finger am Abzug richtete er sie nach oben.
    Nebel floss träge in die Grube.
    Die Wände, stellte Benjamin im matten Schein des Mondes fest, ragten etwa drei Meter weit auf, und es gab nirgends Vorsprünge, an denen man nach oben klettern konnte. Er saß in dieser Falle fest.
    Die ersten kalten Finger des Nebels fanden ihn, wanderten über ihn hinweg, berührten Arme und Brust, strichen übers Gesicht. Wenn er sich nicht regte, wenn er still liegen blieb und keinen Ton von sich gab … Vielleicht fanden ihn die Kreaturen dann nicht. Benjamin versuchte sich daran zu erinnern, was er bisher über die seltsamen Geschöpfe im Nebel gehört hatte. Wenn er sich recht entsann, ließen sie Tote in Ruhe, bis sie wieder erwachten. Er war nicht tot, aber wenn ihn die Kreaturen für tot hielten …
    Die kalten Finger des Nebels tasteten ihn nach Leben ab. Schließlich hielt Benjamin es nicht länger aus. Er musste atmen, sich die Lunge mit Luft füllen, und dabei hob sich seine Brust.
    Noch mehr Nebel strömte in die Grube. Das kalte Grau füllte sie aus und stieg höher; einen Teil davon nahm Benjamin mit jedem Atemzug in sich auf. Kratzende Geräusche kamen von oben, wie von etwas, das über die Steine am Rand des Weges kroch. Es folgten brummende und knurrende
Laute, die ihren Ursprung in unmittelbarer Nähe der Grube zu haben schienen.
    Benjamin wagte nicht aufzustehen, hielt die Pistole weiter nach oben gerichtet und beobachtete, wie mehrere große, sich vage im Nebel abzeichnende Gestalten an der Grube vorbeistapften. Einer dieser Schemen verharrte, grunzte kehlig und blickte über den Rand der Grube: ein Kopf wie ein Ameisenbär, Augen wie ein Krokodil, an der linken Schulter ein mehrgelenkiger Arm, von Schuppen bedeckt, an der rechten ein Bündel aus

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