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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wenn ich unbeaufsichtigt draußen herumlaufe. Aber ich gehe gern spazieren, und ich muss einfach frische Luft schöpfen. Es ist eine so wunderschöne Nacht.«
    »Scherzen Sie? Es regnet.«
    »Ich mag Regen, und momentan nieselt es höchstens. Sie würden es in Besźel nicht einen Tag aushalten. In Besźel haben wir richtigen Regen.« Ein alter Witz, doch er lächelte und gab nach.
    »Meinetwegen. Vor uns liegt eine Menge Arbeit, denken Sie dran. Wir sind noch nicht sehr weit gekommen.«
    »Stimmt.«
    »Dabei sind wir die hellsten Köpfe unserer Stadt, korrekt? Trotzdem ist Yolanda immer noch verschwunden, und nun auch noch Bowden. Dafür wird man uns keinen Orden anstecken.« Er schaute sich um. »Im Ernst, wir tappen völlig im Dunkeln.«
    »Sie wissen all das, was ich weiß.«
    »Mich stört nicht«, sagte er, »dass es unmöglich ist, in dem ganzen Durcheinander einen Sinn zu erkennen, sondern dass es möglich ist. Doch es ist eine Möglichkeit, die ich nicht in Betracht ziehen möchte. Ich glaube nicht an ...« Mit einer ungeduldigen Handbewegung wischte er die Idee von hinterhältigen, unsichtbaren Städten beiseite. Er schaute seine Straße entlang. Sie war total, folglich keines der erleuchteten Fenster über uns extern.
    Zu der verhältnismäßig frühen Abendstunde waren wir nicht allein auf der Straße. Passanten erschienen als Schattenriss vor den Lichtern einer im rechten Winkel einmündenden Straße, die größtenteils nach Besźel gehörte. Für einen Moment glaubte ich, eine der dunklen Gestalten hätte innegehalten und zu uns hergeschaut, nur ein paar Sekunden, aber doch lange genug, dass man von Grenzbruch sprechen konnte, aber dann ging sie weiter.
    Als ich mich auf den Weg machte und die von Regen gesäumten Silhouetten der Stadt betrachtete, hatte ich kein bestimmtes Ziel. Ich hielt mich nach Süden. Ich schlenderte allein an Menschen vorbei, die es nicht waren, und spielte mit dem Gedanken, dorthin zu gehen, wo Sariska oder Biszaya wohnten oder auch Corwi - etwas auf dieser melancholischen Ebene. Sie wussten, dass ich in Ul Qoma war. Wir konnten uns begegnen und nebeneinander die Straße entlanggehen, nur durch Zentimeter getrennt, und durften uns doch mit keinem Blick, keiner Geste begrüßen. Wie in dem alten Märchen.
    Nicht, dass ich ernsthaft die Absicht hatte, das zu tun. Man legt es nicht darauf an, Bekannte oder Freunde nichtsehen zu müssen, es ist eine unerquickliche Situation. Was ich hingegen tat, war, an dem Haus vorbeizugehen, in dem ich wohnte. Meine Nachbarn wussten nicht - jedenfalls hatte ich es keinem erzählt -, dass ich im Ausland war und würden mich grüßen, bevor sie meine qomanische ABID entdeckten und hastig versuchten, den Grenzbruch zu beenden. Bei allen brannte Licht in der Wohnung, sie waren drinnen, im Warmen und Trockenen.
    In Ul Qoma befand ich mich in der Ioy Street. Sie ist ziemlich genau deckungsgleich mit der RosidStrász, in der ich wohne. Das Gebäude zwei Türen weiter war ein bis spät nachts geöffneter Spirituosenladen. Die Hälfte der Nachtschwärmer um mich herum befanden sich in Ul Qoma, deshalb konnte ich reinräumlich, physisch, nahe bei meiner Haustür stehen bleiben, um sie zu nichtsehen - selbstverständlich -, aber ebenso selbstverständlich nicht völlig, und dabei überkam mich ein Gefühl, das ich nicht benennen könnte. Langsam ging ich näher heran, den Blick auf die Haustüren in Ul Qoma geheftet.
    Jemand beobachtete mich. Scheinbar eine alte Frau. Im Dunkeln konnte ich sie nur schemenhaft erkennen, ganz gewiss nicht Einzelheiten ihres Gesichts, aber etwas war merkwürdig an der Art, wie sie dastand. Ich musterte ihre Kleidung und konnte nicht sagen, in welche Stadt sie gehörte. Ein normaler Moment der Unsicherheit, aber diesmal dauerte er viel länger als sonst, und proportional dazu wuchs meine Beunruhigung.
    Ich bemerkte andere wie sie unter dem Mantel der Nacht, ebenfalls nur Schemen, die sich aus der Dunkelheit schälten, irgendwie, nicht näherkamen, sich nicht einmal bewegten, vielleicht ihre Haltung so veränderten, dass sie deutlicher wurden. Die Frau fuhr fort, mich anzustarren, und sie tat ein, zwei Schritte in meine Richtung, also war sie entweder in Ul Qoma oder des Grenzbruchs schuldig.
    Ich bekam Angst. Wich zurück. Mit einer unangenehmen Verzögerung, wie ein verspätetes Echo, vollzogen sie und die anderen meine Rückwärtsbewegung nach und verschwanden in der Dunkelheit. Ich machte mich davon, nicht Hals über Kopf,

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