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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wahrscheinlich weil es der kürzeste Weg war.
    Kompliziert wurde es, als er den Bus nahm. Ich saß dicht hinter ihm und versteckte mich hinter meiner Zeitung. Als mein Handy klingelte, durchfuhr mich ein heißer Schreck, aber es war nicht das erste und Aikam reagierte nicht. Es war Dhatt. Ich wies den Anruf ab und stellte den Klingelton auf lautlos.
    Tsueh stieg aus und führte mich in eine desolate Total-Zone qomanischen sozialen Wohnungsbaus, noch hinter Bisham Ko, weit außerhalb des Stadtzentrums. Keine hübschen Wendeltürme oder nostalgischen Gasgondelwarten hier. Die Karnickelställe aus Beton waren keineswegs verlassen, im Gegenteil voller Lärm und Menschen zwischen den zur Mülldeponie verkommenen Freiflächen. Die Gegend erinnerte an die ärmsten Viertel Besźels, sogar noch eine Stufe darunter, mit einem Soundtrack in einer anderen Sprache und Kindern und Zuhältern in anderen Kleidern.
    Erst als Tsueh einen der versifften Wohnblocks betrat und die Treppe hinaufstieg, musste ich wirklich aufpassen. Ich setzte die Füße so leise wie möglich auf die Stufen, schlich vorbei an Graffiti und Tierscheiße. Seine eiligen Schritte hallten laut in dem kahlen Treppenschacht, verstummten plötzlich, dann ein verstohlenes Klopfen. Ich ging langsamer.
    »Ich bin's«, hörte ich ihn sagen. »Aikam. Ich bin gekommen.«
    Eine antwortende Stimme, erschrocken, aber vielleicht bildete ich mir das nur ein, weil ich es erwartete. Leise und vorsichtig erklomm ich die nächsten Stufen. Zu dumm, dass ich meine Pistole hatte abgeben müssen. Mit Waffe wäre mir wohler gewesen.
    »Du hast mich herbestellt«, sagte Tsueh. »Du hast mir geschrieben. Mach auf.«
    Die Tür knarrte ein wenig, und das Flüstern der zweiten Stimme war etwas deutlicher zu vernehmen. Noch ein fleckiger Pfeiler trennte mich vom Geschehen. Ich hielt den Atem an.
    »Aber du hast mir geschrieben ...« Die Tür wurde ein Stück weiter geöffnet. Ich hörte, wie Aikam sich bewegte, und kam hinter dem Pfeiler hervor. Zwei große Schritte, und ich war hinter ihm. Er hatte keine Zeit, mich zu bemerken oder sich umzudrehen. Ich versetzte ihm einen kräftigen Stoß, er prallte gegen die halboffene Tür, die wiederum gegen die Person prallte, die dahinterstand, und sie zur Seite schleuderte. Tsueh torkelte über die Schwelle und fiel hin. Jemand schrie, aber ich war ihm schon in die Wohnung gefolgt, schlug die Tür hinter mir zu und blieb davor stehen, sodass niemand hinauskonnte. Ich schaute in einen düsteren Flur, von dem links und rechts Zimmer abgingen, dann auf Tsueh, der ächzend versuchte, sich hochzurappeln, dann auf die schreiende junge Frau, die sich an der Wand entlang von mir wegschob und mich anstarrte, als wäre ich der Leibhaftige persönlich.
    Ich legte den Finger an die Lippen, und vermutlich, weil ihr genau in diesem Moment die Luft ausging, verstummte sie prompt.
    »Nein, Aikam«, sagte ich. »Sie hat nicht geschrieben, die Nachricht kam von mir.«
    »Aikam«, stieß sie schluchzend hervor.
    »Still.« Wieder legte ich den Finger an die Lippen. »Du brauchst keine Angst zu haben, nicht vor mir. Aber wir beide wissen, da draußen gibt es Leute, bei denen sieht es anders aus. Ich bin gekommen, um dir zu helfen, Yolanda.«
    Sie brach in Tränen aus, ob vor Angst oder Erleichterung, ich wusste es nicht.

19. Kapitel
 
    Aikam war aufgestanden und machte Miene, mich anzugreifen. Er war muskulös und hielt die Fäuste, als hätte er Boxunterricht gehabt. Falls ja, war er kein guter Schüler gewesen. Ich brachte ihn zu Fall, drückte sein Gesicht in den schmuddeligen Teppich, drehte ihm einen Arm auf den Rücken und hielt ihn fest. Yolanda weinte seinen Namen. Er stemmte sich halb vom Boden hoch, einarmig und obwohl ich auf ihm kniete. Deshalb stieß ich seinen Kopf wieder nach unten, und diesmal so energisch, dass seine Nase blutete.
    »Das reicht«, sagte ich. »Gibst du jetzt Ruhe? Ich will euch gar nichts tun.« Kraft gegen Kraft, würde er mich früher oder später überwältigen, außer, ich brach ihm den Arm. Keine der beiden Alternativen war erstrebenswert. »Yolanda, um Himmels willen.« Auf ihm reitend wie auf einem bockigen Gaul, suchte ich ihren Blick. »Ich habe eine Waffe. Glaubt ihr nicht, ich hätte geschossen, wenn ich euch umbringen wollte?« Für die Lüge schwenkte ich um zu Englisch.
    »Aikam«, sagte sie endlich, und fast sofort gab er seinen Widerstand auf. Sie stand am Ende des Korridors, die Hände flach gegen die Wand gepresst,

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