Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
und fixierte mich aus weit aufgerissenen Augen.
    »Mein Arm. Sie tun mir weh«, sagte Aikam unter mir.
    »Tut mir leid, das zu hören. Wenn ich ihn aufstehen lasse, wird er sich benehmen?« Dies wieder an sie gerichtet, auf Englisch. Bis unter die Haarspitzen voller Adrenalin, konnte ich ohne Probleme zwischen den beiden Sprachen hin- und herwechseln. »Wenn ich dich aufstehen lasse, kümmerst du dich um Yolanda?«
    Er störte sich nicht an dem Blut, das aus seiner Nase tropfte. Mit einer Hand stützte er seinen malträtierten Arm, und weil er seine Freundin deshalb nicht tröstend an sich ziehen konnte, musste er sich damit begnügen, sie sozusagen virtuell mit liebevollem Schutz zu umfangen. Er baute sich zwischen mir und ihr auf. Hinter seinem Rücken hervor schaute sie mich an, wachsam jetzt, nicht mehr angstvoll.
    »Was wollen Sie?«
    »Ich weiß, dass du Angst hast. Ich bin nicht von der qomanischen Militsya - ich traue denen ebenso wenig wie du. Ich habe auch nicht die Absicht, sie zu rufen. Ich bin hier, um dir zu helfen.«
 
    In dem von Yolanda schmeichelhaft als Wohnzimmer bezeichneten Raum hockte sie wie ein Häufchen Unglück in einem altersschwachen Sessel, den die beiden wahrscheinlich in einer leerstehenden Wohnung im selben Block requiriert hatten. Noch einige ähnliche Möbelstücke verteilten sich im Zimmer, alle lädiert, aber sauber. Die Fenster gingen auf den Hof hinaus, man hörte qomanische männliche Jugend einer rauen, individuellen Version von Rugby frönen. Sehen konnte man sie nicht, weil die Scheiben weiß gestrichen waren.
    Bücher und andere Habseligkeiten standen in Kisten und Kästen im Zimmer herum. Ein billiger Laptop, ein billiger Tintenstrahldrucker. Allerdings keine Elektrizität, soweit ich erkennen konnte. An den Wänden keine Poster. Ich lehnte in der offenen Tür, betrachtete die zwei Fotos auf dem Fußboden: eins von Aikam, das andere, in einem schöneren Rahmen, zeigte Yolanda und Mahalia lächelnd hinter bunten Cocktails.
    Yolanda stand auf, setzte sich wieder hin. Wich meinem Blick aus. Sie gab sich keine Mühe, ihre Angst zu verbergen, die nicht geringer geworden war, auch wenn sie mich nun nicht mehr als Bedrohung ansah. Sie wollte sich die in ihr keimende Hoffnung nicht eingestehen, erst recht nicht sie nähren. Ich kannte den Gesichtsausdruck. Der Mensch sehnt sich nach der Erlösung von dem Bösen.
    »Aikam hat sich wirklich Mühe gegeben«, sagte ich. Wieder auf Englisch, das Aikam nicht beherrschte, doch er bat nicht um Übersetzung. Er hatte neben Yolandas Sessel Posten bezogen und ließ mich nicht aus den Augen. »Du hast ihn beauftragt, einen Weg zu finden, wie man unentdeckt aus Ul Qoma verschwinden kann. Mit Erfolg?«
    »Woher haben Sie gewusst, dass ich hier bin?«
    »Dein Freund hat getan, was du ihm aufgetragen hast. Er wollte wissen, was Sache ist. Woher sein Interesse an Mahalia Geary? Sie haben nie ein Wort miteinander gewechselt. Für dich aber hat er eine Schwäche. Folglich erscheint es merkwürdig, wenn er sich so teilnahmsvoll nach ihr erkundigt, nach den Umständen ihres Todes und dem Stand unserer Ermittlungen. Man wird nachdenklich. Warum tut er das? Du hättest das wissen wollen. Du warst mit ihr befreundet, hast um sie getrauert, hattest Angst um dich selbst.«
    Wieder sprang sie auf und drehte ihr Gesicht zur Wand. Ich wartete darauf, dass sie sich äußerte, doch als sie stumm blieb, fuhr ich fort: »Es schmeichelt mir, dass du ihm gesagt hast, er soll mich fragen. Den einzigen Polizeibeamten, von dem man annehmen kann, dass er nicht Teil des Komplotts ist. Den Außenseiter.«
    »Das wissen Sie nicht!« Yolanda drehte sich zu mir herum. »Ich traue Ihnen nicht ...«
    »Okay, okay, das habe ich nie behauptet.« Eine seltsame Versicherung. Aikam folgte unserem Gespräch mit Blicken. »Verlässt du nie das Haus?«, fragte ich. »Was isst du? Konserven? Ich nehme an, Aikam kommt und bringt Verpflegung, aber bestimmt nicht oft.«
    »Er kann nicht oft kommen. Wie haben Sie mich überhaupt gefunden?«
    »Frag ihn. Er hat einen schriftlichen Hilferuf bekommen. Nach meiner bescheidenen Meinung hat er sich bemüht, auf dich aufzupassen.«
    »Das tut er.«
    »Kann man wohl sagen.« Draußen, verriet uns der Krach, entwickelte sich eine Beißerei zwischen Hunden. Ihre Besitzer mischten sich ein, nicht weniger lautstark. Mein Handy summte, hörbar trotz des abgestellten Klingeltons. Yolanda zuckte zusammen und wich zurück, als könnte ich sie mit dem

Weitere Kostenlose Bücher