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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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aber schnellen Schrittes. Suchte mir heller erleuchtete Straßen.
    Trotz allem begab ich mich nicht auf kürzestem Weg in mein Hotel. Nachdem mein Herzschlag sich wieder normalisiert hatte und ich an einem belebten Ort etwas zur Ruhe gekommen war, ging ich zu demselben Aussichtspunkt, an dem ich schon einmal gewesen war, oberhalb von Bol Ye'an. Ich ließ diesmal größere Vorsicht walten, bemühte mich um eine qomanische Körpersprache, und während der Stunde, die ich dort ausharrte, ließ sich keine Militsya blicken. Anscheinend tendierten sie dazu, entweder bedrohliche Anwesenheit zu demonstrieren oder gänzlich abwesend zu sein. Unzweifelhaft gab es eine Methode, sich der subtilen Intervention der qomanischen Polizei zu versichern, aber sie war mir nicht bekannt.
    Im Hilton bat ich darum, um fünf Uhr früh geweckt zu werden. Ich fragte die Dame hinter der Rezeption, ob sie für mich eine Nachricht ausdrucken könnte, da der winzige »Business Centre« genannte Raum geschlossen war. Beim ersten Mal nahm sie Papier mit dem Briefkopf des Hilton. »Würden Sie es noch einmal ausdrucken, auf normalem Papier?« Ich zwinkerte. »Für den Fall, dass die Botschaft abgefangen wird.« Sie lächelte. Sie rätselte, an was für einer Vertraulichkeit sie teilhatte. »Können Sie mir den Text wiederholen?«
    »Dringend. Komm sofort. Nicht anrufen.«
    »Perfekt.«
    Am nächsten Morgen war ich wieder auf meinem Posten, nach einem langen Umweg durch die Stadt. Wie gesetzlich vorgeschrieben, hatte ich meine ABID angesteckt, allerdings ganz am Rand des Revers, wo der Stoff Falten schlug, und ich trug sie an einer Jacke von echter qomanischer Machart, wie mein Hut nicht neu, aber neu für mich. Ich war aufgebrochen, bevor die Läden öffneten, aber ein verdutzter Qomani am äußersten Scheitelpunkt meines Wegs war um etliche Dinare reicher und um das Gewicht seiner Oberbekleidung erleichtert.
    Trotz allem wurde ich vielleicht beobachtet, aber mit ziemlicher Sicherheit nicht von der Militsya. Schon jetzt, kurz nach Tagesanbruch, waren Leute unterwegs. Ich wollte nicht näher an Bol Ye'an herangehen, das Risiko war mir zu groß. Etwas später füllte sich die Stadt mit Scharen von Kindern, solchen in der strengen Schuluniform Ul Qomas und Dutzenden von Straßenkindern. Ich bemühte mich, nicht aufzufallen, beobachtete das Treiben hinter den überlangen Schlagzeilen des Ul Qoma Nasyona hervor, frühstückte Frittiertes aus einem Schnellimbiss. Die ersten Beschäftigten trudelten bei der Ausgrabung ein, zumeist in kleinen Gruppen und für mich zu weit entfernt, um zu erkennen, wer wer war, wenn sie ihren Ausweis vorzeigten und durch das Tor gingen. Ich ließ etwas Zeit verstreichen.
    Das kleine Mädchen, das ich ansprach, in seinen zu großen Turnschuhen und der abgeschnittenen Jeans, musterte mich skeptisch. Ich zeigte ihr einen 5-Dinarschein und einen zugeklebten Briefumschlag.
    »Siehst du das Gelände da mit der Mauer drumherum? Siehst du das Tor?« Sie nickte, aufmerksam. Unter anderem waren sie Gelegenheitskuriere, diese Kinder.
    »Woher kommen Sie?«, wollte sie wissen.
    »Paris. Aber das ist geheim. Nicht weitersagen. Ich habe einen Auftrag für dich. Was glaubst du, kannst du die Wachen am Tor dazu bringen, jemanden zu rufen, wenn du sagst, du hast was für ihn?« Sie nickte. »Ich sage dir einen Namen, und ich möchte, dass du hingehst und nach der Person mit diesem Namen fragst, und nur dieser Person, niemand anderem, gibst du diesen Brief.«
    Entweder war sie ehrlich oder wusste, kluges Kind, dass ich sie von dort, wo ich stand, auf dem ganzen Weg bis zum Tor von Bol Ye'an im Auge behalten konnte. Sie verdiente sich ihr Geld. Wieselflink - daher auch der Spitzname dieser Kinder ohne Zuhause: Flinklinge - schlängelte sie sich zwischen den Passanten hindurch. Je schneller dieser lukrative Auftrag erledigt war, desto schneller konnte sie den nächsten an Land ziehen.
    Wenige Minuten, nachdem sie am Tor angelangt war, kam jemand heraus und entfernte sich in schnellem, steifbeinigem Gang von der Ausgrabungsstätte. Er hatte die Schultern hochgezogen und hielt den Kopf gesenkt. Er war weit weg, aber allein und er wartete, und ich erkannte Aikam Tsueh.
 
    Ich hatte einige Erfahrung in der Kunst, Leute zu beschatten, allerdings war es schwieriger in einer fremden Stadt. Aikam machte es mir leicht. Er schaute sich kein einziges Mal um, folgte bis auf wenige Ausnahmen den breitesten, belebtesten und deckungsgleichen Straßen,

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