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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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haben.«
    »Sie hätten nicht den CEO ihres Mutterkonzerns einfliegen lassen, nur um den putzigen kleinen Katzbucklern hier eine Freude zu machen, erst recht nicht jedes Mal, wenn Mahalia mit dem Verschließen der archäologischen Schatzkammer betraut war. Nie und nimmer. Besźel ist ein hoffnungsloser Fall, und sie haben uns schon einen Knochen hingeworfen, indem sie überhaupt bei uns präsent sind. Da muss es eine Verbindung geben ...«
    »Gut, wir werden nachforschen. Aber diese Leute sind weder Bürger noch Bürger, Tye. Ihnen fehlt die ...« Er verstummte.
    »Die Furcht«, sagte ich. Die Angststarre des Kaninchens vor der Schlange, der Unterwürfigkeits-Reflex, der in Ul Qoma wie in Besźel funktionierte.
    »Ihnen fehlt eine gewisse Reaktion auf unsere Anwesenheit. Wenn wir also etwas in Gang setzen, dann müssen wir massiert auftreten. Und falls Ihr Verdacht sich bestätigt, wäre die Schließung eines wichtigen Unternehmens die Folge, ein schwerer Schlag für die Wirtschaft Besźels. Man wird darüber nicht erfreut sein.
    Es wäre nicht das erste Mal, dass eine Stadt oder eine Stadt sich gegen Ahndung auflehnt, Tye. Das hat es schon gegeben. Man hat Krieg geführt gegen Ahndung.« Er wartete, ließ das Bild wirken. »Damit wäre niemandem geholfen. Deshalb müssen wir Präsenz zeigen.« Prophylaktische Einschüchterung. Alles klar.
    »Kommen Sie«, sagte ich. »Die Zeit drängt.«
    Aber die Rückbeorderung der Avatare Ahndungs von dort, wo sie wachten, ging nur stockend vor sich; zu weitgespannt war das Netz in dem Bestreben, das Chaos in geordnete Bahnen zu lenken. Die Angerufenen stimmten zu/nicht zu, sagten, ich komme, sagten, ich komme nicht, sagten, sie wollten erst mit Ashil reden. Das alles hörte ich aus seiner Seite der Gespräche heraus.
    »Wie viel Mann braucht ihr?«, erkundigte ich mich. »Worauf wartet ihr?«
    »Wir müssen Präsenz zeigen, wie gesagt.«
    Mehr als zwei Stunden vergingen auf diese Weise. Ich fühlte mich aufgeputscht von etwas, das in meinem Essen gewesen war oder im Kaffee, lief auf und ab und wetterte gegen mein Eingesperrtsein. Ashils Handy klingelte pausenlos, die Nachrichten, die er ausgesandt hatte, zogen Kreise. Im Flur Bewegung, eilige Schritte, Stimmen, Rufe, fragend und antwortend.
    »Was ist da los?«
    Ashil lauschte seinem Gesprächspartner am Telefon, nicht auf den Lärm im Flur. »Nein«, sagte er. Seine Stimme gab nichts preis. Er wiederholte es noch einige Male, bis er das Telefon zuklappte und mich ansah. Zum ersten Mal zeigte sich in dem verbissenen Gesicht ein Anflug von Unsicherheit. Er wusste nicht, wie er mir sagen sollte, was er mir sagen musste.
    »Was ist passiert?« Das Rufen und Laufen vor der Tür nahm zu, und jetzt tönte auch Lärm von der Straße herauf.
    »Ein Zusammenstoß.«
    »Autounfall?«
    »Busse. Zwei Busse.«
    »Grenzbruch.«
    Er nickte. »Sie fahren in Besźel. Kommen auf dem Finn Square von der Fahrbahn ab.« Finn Square, eine große Piazza, deckungsgleich. »Schleudern gegen eine Mauer in Ul Qoma.« Ich sagte nichts. Ein Unfall mit Grenzbruch erforderte naturgemäß das Eingreifen von Ahndung, aus dem Nichts auftauchende Avatare, die den Unfallort absperrten, die Parameter erkundeten, die Unschuldigen aussortierten, die Grenzbrecher festnahmen, die Amtsgewalt so schnell wie möglich an die Polizei der beiden Städte zurückgaben. Ein simpler Grenzbruch durch Verkehrsunfall hätte nicht die Aufregung ausgelöst, die ich draußen hörte, dafür gab es einen anderen Grund.
    »Die Busse transportierten Flüchtlinge in ein Lager. Natürlich haben die Leute die Fahrzeuge verlassen, und da sie nicht geschult sind, begehen sie überall Grenzbruch, laufen von einer Stadt in die andere, ohne sich bewusst zu sein, was sie tun.«
    Ich konnte mir die Panik der Umstehenden und Passanten ausmalen, erst recht der unschuldigen Autofahrer, Besź wie Qomani, die bei ihren hektischen Ausweichmanövern nicht verhindern konnten, dass sie einmal in diese Stadt gerieten, einmal in jene, sich bemühten, ihr Fahrzeug wieder unter Kontrolle zu bekommen und dorthin zu lenken, wo es sich rechtens befinden durfte. Dort sahen sie sich dann Dutzenden verstörter, möglicherweise verletzter Ortsfremder gegenüber, die in ihrer Ahnungslosigkeit nicht anders konnten, als ständig Grenzbruch zu begehen. Auf Grund fehlender Sprachkenntnisse nicht in der Lage, um Hilfe zu bitten, taumelten sie aus den Buswracks, weinende Kinder auf dem Arm, und ihr Blut tropfte in Besźel,

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