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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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sein Petschaft sehen oder trommelte mit den Fingern einen geheimen Code, und sein Status als Avatar wurde erkannt, und wir fuhren weiter.
    Ich hatte darum gebeten, Verstärkung mitzunehmen. »Keiner von meinen Kollegen wird dazu bereit sein«, hatte er geantwortet. »Sie würden uns nicht glauben. Ich sollte bei ihnen sein.«
    »Was soll das heißen?«
    »Alle sind im Einsatz. Ich habe keine Gelegenheit, sie zu überzeugen.«
    Plötzlich wurde mir klar, wie gering die Zahl der Ahnder war. Wie prekär der Schutz unserer virtuellen Grenze. Ihre in Grundzügen demokratische Methodologie, ihre dezentrale Organisation, das Schwergewicht auf eigenverantwortlichem Handeln, bot Ashil den Freiraum, individuelle Prioritäten zu setzen und sich von meinen Argumenten überzeugen zu lassen. Aber aus genau denselben Gründen waren wir auf uns allein gestellt.
    Ashil jagte den Wagen über Stadtautobahnen ohne Rücksicht auf die in Frage gestellte Grenze, umfuhr lokale Anarchien. Militsya und Policzai wachten an Straßenecken. Manchmal tauchten Ahnder auf, geisterhaft wie immer, und wiesen die örtlichen Gesetzeshüter an, etwas zu tun - einen Unif oder Toten wegzuschaffen, etwas zu bewachen -, um ebenso schnell und geisterhaft wieder zu verschwinden. Zwei Mal sah ich Ahndung verängstigte Nordafrikaner, Männer und Frauen, von irgendwo nach irgendwo eskortieren, Flüchtlinge, die man als Auslöser diese Revolte missbraucht hatte.
    »Das kann nicht sein, wir haben ...« Ashil unterbrach sich, legte, um besser zu verstehen, den Finger an den Ohrhörer, über den er auf dem Laufenden gehalten wurde.
    Nach dieser Sache würden die meisten Unifs hüben wie drüben sich in Lagern wiederfinden. Man musste kein Hellseher sein, um vorhersagen zu können, welches Ende diesem Versuch, ihren Traum von der Einheit zu verwirklichen, beschieden war, denn die Unifs kämpften, um eine Bevölkerung aufzurütteln, die ihren Zielen grundsätzlich ablehnend gegenüberstand. Nun ja, mochten sich die wenigen Übriggebliebenen künftig an den Erinnerungen wärmen, wie sie in dieser glorreichen Nacht wider die bösen Mächte Schulter an Schulter um die Einheit gerungen hatten.
    Man konnte sich vorstellen, welch ein überwältigendes Gefühl es gewesen war, den Fuß über die Grenze zu setzen und die ausländischen Genossen zu umarmen - auf der anderen Seite der eben noch zwei verschiedenen Straßen, die sie mit einem kühnen Schritt zu einer gemeinsamen verschmolzen hatten -, sich ein eigenes, einiges Reich geschaffen zu haben, wenn auch nur für Sekunden in dieser Nacht und vor dem Hintergrund eines Graffito-Slogans und eines eingeschlagenen Fensters. Inzwischen musste ihnen klar geworden sein, dass sie auf Unterstützung aus der Bevölkerung nicht zu hoffen brauchten, dennoch zogen sie sich nicht in ihre jeweilige Stadt zurück. Undenkbar, sich geschlagen zu geben! Ehre, Verzweiflung oder Mut spornten sie an, weiterzukämpfen.
    »Das ist unmöglich«, sagte Ashil. »Wie soll das Oberhaupt von Sear and Core, ein Außenseiter, diesen Aufstand inszeniert ... Wir ...« Er lauschte, kniff die Lippen zusammen. »Wir haben Avatare verloren.« Was für ein Krieg, dieser nun blutige Konflikt zwischen denen, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die Städte zu vereinen, und der Macht, die sich berufen fühlte, die Trennung aufrechtzuerhalten.
    EINHEIT stand halbfertig an der Fassade der Uigar Halle/des Sul-Kibai-Palastes, nun verkündete das Gebäude in verlaufenden Lettern Sinnloses. Was sich in Besźel Geschäftsbezirk nennen durfte, war eine traurige Angelegenheit, verglichen mit dem qomanischen Äquivalent. Das Hauptquartier von Sear and Core stand am Ufer des Colinin, einer der wenigen Erfolge im Rahmen des Projekts der Neubelebung von Besźels sterbender Hafengegend. Wir fuhren an dem schwarzen Wasser entlang.
    Das rhythmische Stottern in der Luft veranlasste uns beide, den Blick zu heben: ein Hubschrauber, das einzige Objekt am Himmel. Wir sahen ihn im Gegenlicht seiner eigenen starken Scheinwerfer, wie er sich emporsteigend von uns entfernte.
    »Das sind sie«, sagte ich. »Wir kommen zu spät.« Aber der Hubschrauber kam von Westen, näherte sich dem Flussufer. Da machte sich nicht jemand davon, da wurde jemand abgeholt. »Schneller!«
    Selbst in einer an Aufregung nicht armen Nacht wie dieser ließen Ashils Fahrkünste mir die Haare zu Berge stehen. Er raste über die unbeleuchtete Brücke, in falscher Richtung durch eine Einbahnstraße in total Besźel,

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