Die Stadt und die Stadt
Geschichte Ul Qomas -, hatte der Kontrollausschuss getagt. Ungemütliche Zusammenkünfte müssen das gewesen sein. Doch während unserer eigenen zwei kurzen und verheerenden Kriege, erinnerte ich mich aus der Schule, hatten keine Sitzungen stattgefunden. Heute waren unsere beiden Nationen auf eine etwas gestelzte Art bemüht, eine tragfähige Annäherung zu erreichen.
Keiner der beiden erwähnten früheren Fälle war so brisant gewesen. So ging es bei meiner ersten Anfrage um Schmuggel, wie bei den meisten Ersuchen um Verweisung an Ahndung. Eine Bande im westlichen Besźel betrieb einen schwunghaften Handel mit Drogen auf der Basis von Medikamenten aus Ul Qoma. Sie sammelten Päckchen ein, am Stadtrand, nahe dem Ende der Ost-West-Achse der gekreuzten Bahnstrecken, die Ul Qoma in vier Quadranten teilen. Ein Komplize aus Ul Qoma warf die Päckchen aus dem Zug.
Im Norden Besźels überlagert auf einem kurzen Streckenabschnitt unser Gleis das von Ul Qoma, und beide laufen als eins weiter. Auch die viele Meilen lange Nordstrecke, die uns durch den Einschnitt in den Bergen mit dem Rest der Welt verbindet, wird gemeinsam genutzt, bis zu unserer Grenze, wo sie international wird: Vor dieser Scheidelinie gilt das Gleis juristisch als zwei separate Schienenwege. An verschiedenen Punkten dieser sensiblen Abschnitte wurden die Pakete mit den Medikamenten in Ul Qoma aus dem Zug geworfen und blieben dort liegen, neben dem Bahnkörper in Ul Qomas Gestrüpp, doch aufgehoben wurden sie in Besźel, und das war Grenzbruch.
Auch wenn es uns nie gelang, unsere kriminellen Elemente bei der Tat zu beobachten - nachdem wir in der Lage waren zu beweisen, dass nur so der Nachschub funktionieren konnte und die fraglichen Medikamente eindeutig Basis der gehandelten Drogen waren, stimmte der Ausschuss dem Ersuchen zu und richtete ein Ersuchen an Ahndung. Binnen kurzem war's vorbei mit dem Medikamentenschmuggel, die Zulieferer verschwanden von der Straße.
Bei dem zweiten Fall ging es um einen Mann, der seine Frau ins Jenseits befördert hatte, und als wir kamen, um ihn zu verhaften, beging er in blinder Panik Grenzbruch. Er betrat einen Laden in Besźel, wechselte die Kleider und kam in Ul Qoma wieder heraus. Durch für ihn günstige Umstände konnte er sich bei dieser Gelegenheit der Festnahme entziehen, doch wir erkannten rasch, was geschehen war. In seinem Zustand panischer Liminalität scheuten sowohl wir als auch unsere Kollegen in Ul Qoma davor zurück, ihn zu ergreifen, auch wenn uns bekannt war, wo er sich aufhielt, in ständig wechselnden Verstecken. Ahndung bemächtigte sich seiner, und auch er verschwand.
Zum ersten Mal seit langer Zeit reichte ich jetzt wieder einen Antrag ein. Ich trug meine Beweise vor. Ich wandte mich mit ausgesuchter Höflichkeit ebenso sehr an die Abgeordneten aus Besźel wie an die aus Ul Qoma. Und auch an die dritte Macht, die unsichtbar im Raum stand.
»Die Ermordete lebte in Ul Qoma, nicht in Besźel. Nachdem wir das in Erfahrung gebracht hatten, konnten wir ihre Identität ermitteln. Mahalia Geary lebte länger als zwei Jahre dort. Sie arbeitete an ihrer Dissertation.«
»Was hat sie studiert?«, wollte Buric wissen.
»Archäologie. Ur- und Frühgeschichte. Sie war an einer der Ausgrabungen beteiligt. Steht alles in Ihren Unterlagen.« Eine Welle der Bewegung lief um den Tisch, nicht ganz synchron zwischen Besźel und Ul Qoma. »Das war ihre Fahrkarte hierher, trotz des Embargos.« Es gab Schlupflöcher und Ausnahmen zur Förderung des Bildungs- und Kulturaustauschs.
In Ul Qoma wird ständig gegraben, Forschungsprojekte bieten den daran Beteiligten eine Lebensstellung -das ganze Land ist eine archäologische Fundgrube, der Boden ungleich reicher als der unsere an spektakulären Artefakten aus der Zeit vor der Spaltung - Szission, wie es fachsprachlich heißt. In Büchern und bei wissenschaftlichen Tagungen streitet man darüber, ob dieses Übergewicht Zufall ist oder Beweis für eine Sonderstellung Ul Qomas (die dortigen Nationalisten behaupten natürlich das Letztere). Mahalia Geary gehörte zum Team einer Dauergrabung in Bol Ye'an im Westen von Ul Qoma, an Bedeutung gleichzusetzen mit Tenochtitlan und Sutton Ho. Seit ihrer Entdeckung vor demnächst hundert Jahren wurde dort ununterbrochen gearbeitet.
Unsere Archäologen hätten sich glücklich geschätzt, wäre an dieser Stelle eine Deckungsgleiche gewesen. Doch auch, wenn der angrenzende Park ein wenig überlappte, bis dicht an den Rand des
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