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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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methodisch umgegrabenen ergiebigen Erdreichs, und ein schmaler Streifen total Besźel sogar einen Zipfel der Fläche abtrennte, war das Grabungsfeld an sich total Ul Qoma. In Besźel gibt es Stimmen, die sagen, das Ungleichgewicht müsse man positiv sehen: Wäre uns auch nur ein halb so reich bestücktes Flöz prähistorischen Geraffels beschert wie Ul Qoma, eine vergleichbare Menge bunt gemischter Fruchtbarkeitsgöttinnen, Irgendwasse, Maschinenteile, Bruchstücke von Mosaiken, Axtklingen und kryptischer Pergamentfetzen, umwittert von Gerüchten physischer Absonderlichkeiten und unglaublicher Effekte - wir hätten den ganzen Sums einfach verscherbelt. Ul Qoma, mit seiner sentimental-scheinheiligen Ehrfurcht vor der Vergangenheit (nichts weiter als schuldbewusste Kompensation der rasanten Veränderungen, der vulgären Energie seiner Entwicklung in jüngster Zeit), mit seinen beamteten Archivaren und Exportbeschränkungen, bewahrte die Zeugnisse seiner Geschichte.
    »In Bol Ye'an graben Archäologen der Prince-of-Wales-Universität in Kanada. Auch Geary war dort eingeschrieben. Ihre Doktormutter hat über Jahre hinweg mit Unterbrechungen in Ul Qoma gelebt - Isabelle Nancy. Eine ganze Gruppe von studentischen Helfern wohnt dort. Hin und wieder organisieren sie Konferenzen. Wählen sogar alle paar Jahre Besźel als Tagungsort.« Magerer Trostpreis für unseren Mangel an historischen Relikten. »Die letzte bedeutende ist länger her, damals haben sie diese sensationelle Ansammlung von Artefakten gefunden. Bestimmt erinnern Sie sich alle daran.« Die gesamte internationale Presse hatte darüber berichtet. Man hatte der Sammlung schnell einen klingenden Namen gegeben, aber er wollte mir beim besten Willen nicht einfallen. Ein Astrolabium gehörte dazu, ein Ding mit einem Zahnradmechanismus, eine verzwickte Komplexität, die ebenso verrückt und spezifisch und aus der Zeit gefallen aussah wie der Antikythera-Mechanismus, um den sich viele Träume und Spekulationen rankten und dessen Zweck auch noch niemand hatte enträtseln können.
    »Wie geht die Geschichte nun weiter mit dieser jungen Frau, die ermordet wurde?« Das kam von einem der Qomani, einem beleibten Herrn um die fünfzig, der ein Hemd in Farben trug, die ihn in Besźel höchst verdächtig gemacht hätten.
    »Sie hat sich in Ul Qoma aufgehalten, monatelang, zu Forschungen für ihre Doktorarbeit«, sagte ich. »Vor Ul Qoma war sie in Besźel, anlässlich einer Konferenz vor drei Jahren. Sie erinnern sich vielleicht, es war eine große Ausstellung von Artefakten und Stücken als Leihgabe von Ul Qoma, und im Zusammenhang damit gab es ein, zwei Wochen mit Besprechungen und so weiter. Scharen von Besuchern sind aus allen vier Himmelsrichtungen herbeigeströmt, Wissenschaftler aus Europa, Nordamerika, aus Ul Qoma und wer weiß wo.«
    »Selbstverständlich erinnern wir uns«, sagte Nyisemu. »Viele von uns haben bei dem Ereignis mitgewirkt.« Er hatte recht. Diverse Gremien und Organisationen waren mit Ständen vertreten gewesen; Minister von Opposition und Regierung hatten ihren Auftritt. Der Premierminister hatte sozusagen das rote Band durchschnitten, Nyisemu die Ausstellung im Museum eröffnet, und für jeden seriösen Politiker gehörte die Veranstaltung zum Pflichtprogramm.
    »Nun, sie war dort. Möglicherweise ist sie Ihnen sogar aufgefallen - offenbar verursachte sie einen mittleren Skandal, wurde der Respektlosigkeit beschuldigt, hielt bei einer Präsentation eine furchtbare Rede über Orciny. Fast hätte man sie rausgeworfen.« Einige Gesichter sahen aus, als dämmerte eine Erinnerung -Buric und Katrinya auf jeden Fall, Nyisemu vielleicht. Wenigstens eine Person aus der Ul-Qoma-Delegation hatte ebenfalls eine grüblerische Miene aufgesetzt.
    »Nun ja, sie beruhigt sich, besteht ihr Examen, beginnt mit der Dissertation, darf in Ul Qoma einreisen, diesmal zur Mitarbeit an der Ausgrabung. Hierher, nach Besźel, hätte sie nie wieder kommen dürfen, nehme ich an, nicht nach dem bewussten Zwischenfall. Offen gesagt bin ich erstaunt, dass man sie nach Ul Qoma hineingelassen hat - und abgesehen von Urlaub ab und zu dauerte ihr Aufenthalt dort recht lange. In der Nähe der Ausgrabungsstätte gibt es Unterkünfte für Studenten. Vor ein paar Wochen verschwand sie und tauchte in Besźel wieder auf. In Pocost Village, der Wohnanlage, die total Besźel ist, wie Sie natürlich wissen, deshalb für Ul Qoma Ausland, und sie war tot. Sie finden das alles in der Akte, Herr

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