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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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Telefon. Wenn ich einen Stein habe, den Sie für mich umdrehen können, rufe ich Sie an.«
    »Was wird darunter zum Vorschein kommen?«
    Die Frage, zu diesem Zeitpunkt, war rhetorisch. Sie diente lediglich dazu, die beinahe vollkommene Stille im Büro zu durchbrechen, überdeckte die kleinen, verstohlenen Geräusche, die man gewöhnlich gar nicht wahrnahm, aber plötzlich wirkten sie verdächtig - jedes Knick und Knack von Plastik wie die millisekundenlange Rückkopplung eines elektronischen Lauschers, jedes Klopfen im Mauerwerk wie die ungeduldige Bewegung eines heimlichen Beobachters.
    »Was ich wirklich gern tun würde«, meinte sie, »wäre, Ahndung anzurufen. Zum Teufel mit denen allen, es wäre einfach großartig, ihnen Ahndung auf den Hals zu hetzen. Großartig, wenn wir hiermit nichts mehr zu tun hätten.« Recht hatte sie. Die Vorstellung, wie Ahndung Rache übte an wem auch immer, der hinter diesem was auch immer steckte, hatte etwas enorm Befriedigendes. »Sie hat etwas entdeckt. Mahalia.«
    Der Gedanke, Ahndung diesen Fall zu übertragen, war mir immer logisch erschienen. Plötzlich erinnerte ich mich an den Ausdruck auf Mrs. Gearys Gesicht. Zwischen den Städten wachte Ahndung. Niemand wusste, was Ahndung wusste.
    »Ja. Kann sein.«
    »Nicht?«
    »Doch, aber Ahndung ist ... Wir können nicht ... Wir müssen uns selbst darum kümmern.«
    »Wir? Wir zwei allein, Chef? Dieser Mord ist nicht einfach nur ein Mord. Keiner von uns beiden weiß, was zum Teufel wirklich los ist.«
    Corwis Stimme war immer leiser geworden, die letzten Worte flüsterte sie. Ahndung entzog sich der Kontrolle von uns Normalsterblichen, war ein Buch mit sieben Siegeln. Eine mystische, auch Furcht einflößende und undurchschaubare Entität. Nein, wir beide waren die einzigen Ermittler in diesem rätselhaften Fall, der von dem ausgehend, was man Mahalia Geary angetan hatte, immer weitere Kreise zog; wir waren die Einzigen, denen wir trauen konnten, und Corwi würde bald auf sich allein gestellt sein wie auch ich, noch dazu in einer fremden Stadt.

II
 

UL QOMA

12. Kapitel
 
    Das Innere der Kopula, von einem Polizeiauto aus gesehen. Wir fuhren in gemäßigtem Tempo und die Sirene war aus, doch in verschämtem Imponiergehabe drehte sich auf dem Dach das Blaulicht und streute sein Flackerlicht über den Asphalt. Ich merkte, dass der Fahrer mich unschlüssig von der Seite anschaute. Er hieß Dyegesztan, war Constable und mir vorher noch nie über den Weg gelaufen. Man hatte mir Corwi nicht einmal als Eskorte bewilligt.
    Wir waren auf den flachen Überführungen durch die Altstadt Besźels gefahren, durch die Straßenschnörkel im Umfeld der Kopula und endlich hinunter zu dem eigentlichen Grenzübergang. Auf der Rampe an der langgestreckten Fassade entlang, in deren Karyatiden mit einigem guten Willen historische Gestalten aus Besźels Geschichte zu erkennen waren, und darunter hindurch in den Tunnel, auf einer breiten, von hochgelegenen Fenstern und grauen Leuchtröhren beleuchteten Straße, an der hier am Besźel-Ende eine lange Schlange von Fußgängern für einen Tagespass anstand. In der Ferne, hinter den roten Rücklichtern, blinzelten uns die Frontscheinwerfer der qomanischen Fahrzeuge entgegen, die intensiver gelb getönt waren als unsere.
    »Sind Sie schon einmal in Ul Qoma gewesen, Sir?«
    »Ja. Ist lange her.«
    Als die Schranke in Sicht kam, nahm Dyegesztan einen zweiten Anlauf. »Hat es damals genauso ausgesehen?« Er war jung.
    »Mehr oder weniger.«
    Als Policzai fuhren wir auf der Sonderspur, hinter dunklen, importierten Mercedes, in denen wahrscheinlich Politiker saßen oder Geschäftsleute auf dem Weg zu Sondierungsgesprächen. Ein Stück entfernt hing das Grummeln von Motoren im Leerlauf über der Karawane der Pendler in billigeren Autos, der Schwarzhändler und der Touristen.
    »Inspektor Tyador Borlú.« Der Grenzbeamte studierte meine Dokumente.
    »Ganz recht.«
    Er las sorgfältig auch das Kleingedruckte. Als Tourist oder Geschäftsmann, der um ein Tagesvisum nachsuchte, wäre ich nach aller Wahrscheinlichkeit nur halb so gründlich kontrolliert worden und hätte längst meine Fahrt fortsetzen dürfen. Eine dieser alltäglichen Ironien der Bürokratie.
    »Sie beide?«
    »Wie es da geschrieben steht, Sergeant. Nur ich. Dies ist mein Fahrer. Ich werde abgeholt, und der Constable hier wird stante pede zurückkommen. Ich glaube fast, wenn Sie dorthinüberschauen, können Sie mein Empfangskomitee sehen.«
    Hier,

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