Die Stadt und die Stadt
ausschließlich an dieser Verbindungsstelle, konnten wir über eine gewöhnliche, greifbare Grenze hinweg in unser Nachbarland schauen. Dahinter, hinter dem Niemandsland und dem qomanischen Grenzposten, scharte sich ein kleiner Trupp Militsya -Offiziere um ein Dienstfahrzeug, dessen Kennleuchte auf dem Dach ebenso wichtig blinkte wie unsere, nur in anderen Farben und mit modernerer Technik (echtes An/Aus, nicht der rotierende Reflektor unserer Drehspiegelleuchten).
Die Signalfarben der Polizei Ul Qomas sind rot und dunkler blau als das Kobalt Besźels. Ihre Autos sind anthrazitgraue, stromlinienförmige Renaults. Ich kann mich an die Zeit erinnern, als sie hässliche, kleine, im eigenen Land gefertigte Yadajis fuhren, die noch mehr an Seifenkisten erinnerten als unsere eigenen Vehikel damals.
Der Beamte wandte den Kopf und warf einen Blick auf das Tableau. »Wir werden ungefähr jetzt erwartet«, bemerkte ich bedeutungsvoll.
Die Militsya waren zu weit entfernt, als dass man Einzelheiten hätte erkennen können. Ihre Haltung verriet, dass sie auf etwas warteten. Gleichwohl ließ der Beamte sich Zeit - Auch wenn ihr Policzai seid, kriegt ihr keine Sonderbehandlung, wir bewachen die Grenze. Doch ohne Grund, uns noch länger zappeln zu lassen, salutierte er endlich etwas verkrampft und winkte uns zu fahren, als die Schranke sich hob. Nach der Besź-Straße fühlten sich die vielleicht hundert Meter Niemandsland unter unseren Reifen fremd an, dann passierten wir die zweite Schranke und waren auf der anderen Seite. Uniformierte Militsya kamen auf uns zu.
Das Aufheulen eines hochgejagten Motors. Das Auto, das wir hatten warten sehen, schoss in einem rasanten Bogen um die näher kommenden Beamten herum, begleitete seine Vollbremsung mit einem jähen, abgehackten Fanfarenstoß der Sirene. Ein Mann federte heraus, setzte die Polizeimütze auf. Er war etwas jünger als ich, untersetzt und muskulös. Seine Bewegungen verrieten Agilität und Durchsetzungsvermögen. Er trug das offizielle Grau der Militsya, mit einem Rangabzeichen versehen. Ich versuchte mich zu erinnern, was es bedeutete. Die Grenzbeamten waren verdutzt stehengeblieben, als er die Hand hob.
»Das reicht!«, rief er. Er winkte ihnen, sich zu entfernen. »Ich übernehme. Inspektor Tyador Borlú?« Er sprach Illit. Dyegesztan und ich stiegen aus dem Auto. Er ignorierte den Constable. »Inspektor Tyador Borlú, Mordkommission Besźel, richtig?« Schüttelte meine Hand. Zeigte auf seinen Wagen, in dem sein Fahrer wartete. »Bitte. Ich bin Senior Detective Qussim Dhatt. Sie haben meine Nachricht erhalten, Inspektor? Willkommen in Ul Qoma.«
Die Kopula war über Jahrhunderte hinweg gewachsen, ein vom Kontrollausschuss in seinen diversen historischen Inkarnationen definiertes architektonisches Quodlibet. In beiden Ländern bedeckte sie eine beachtliche Grundfläche. Das Innere war verirrend. Auf den ersten Metern können Flure total Besźel oder Ul Qoma sein, werden je länger desto deckungsgleicher, hinter einer Tür ist Ul Qoma, hinter einer anderen Besźel, dazu kommt eine Anzahl seltsamer Räume und Bereiche, die in keiner oder beiden Städten existieren, die exklusiv Kopula sind und ausschließlich dem Kontrollausschuss und seinen Körperschaften unterstehen. Beschriftete Wegweiser des Gebäudeinneren waren ein hübsch anzuschauendes, aber einschüchterndes Durcheinander von Farben.
Im Parterre jedoch, wo die breite Zufahrtsstraße auf die erste Sperre aus Schranken und Maschendraht stieß, wo die Grenzbeamten Besźels den Reisenden auf ihren jeweiligen Spuren Halt geboten - Fußgänger, Handkarren und von Tieren gezogene Wagen, plumpe Besź-Autos, Lieferwagen, alles wiederum unterteilt nach den diversen Arten von Pässen, unterschiedlich schnell vorrückend, entsprechend chaotisch das Auf und Ab der Schranken -, war die Situation weniger kompliziert. Dort, wo die Kopula sich nach Besźel öffnete, florierte ein wilder Markt. Illegale, doch geduldete Straßenhändler wanderten an den Reihen der Wartenden entlang, boten geröstete Nüsse und Papierspielzeug feil.
Hinter dem Einlass hüben, unter dem Zentralmassiv der Kopula - Niemandsland. Der Asphalt ohne Fahrbahnmarkierungen: Dies war weder Besźel noch Ul Qoma, wessen Verkehrsvorschriften sollten hier gelten? Zum entgegengesetzten Ende der Halle hin war die Grenzanlage der Nachbarn, deutlich besser ausgestattet und organisiert als auf Seiten Besźels. Bewaffnete qomanische Grenzer starrten, zumeist von
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