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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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uns abgewandt, auf ihre eigenen effizient kanalisierten Reihen von Reisenden nach Besźel. In Ul Qoma bilden Grenzbeamte keinen separaten Arm der Regierung wie in Besźel, sie sind Militsya, Polizei, wie unsere Policzai.
    Größer als ein Amphitheater, ist die Halle des eigentlichen Grenzübergangs dennoch übersichtlich - Leere umfasst von antiken Mauern. Von der besźseitigen Schwelle kann man über die Menschenmenge und die kriechende Fahrzeugschlange hinweg das Tageslicht Ul Qomas durch die gegenüberliegenden Tore hereinströmen sehen. Man sieht das Gewoge der Köpfe näher kommender Touristen oder zurückkehrender Landsleute, die Grate qomanischen Stacheldrahts hinter der Mittellinie der Halle, hinter dem leeren Streifen zwischen den Kontrollpunkten. Sogar die Silhouetten von Gebäuden auf der Ul-Qoma-Seite kann man durch die gigantischen, etliche hundert Meter entfernten Einlasstore erkennen. Die Leute reißen sich um einen Blick über diese Verbindungsstelle hinweg.
    Auf der Herfahrt hatte ich den Constable gebeten - von ihm mit hochgezogenen Augenbrauen quittiert -, nicht auf kürzestem Weg zum Besźel-Eingang zu fahren, sondern einen Umweg zu machen, über die KarnStrász. In Besźel ist das eine langweilige Geschäftsstraße in der Altstadt, doch deckungsgleich, ein wenig zu Gunsten Ul Qomas. Die meisten Häuser dort gehören zu unserem Nachbarn, und in Ul Qoma verläuft an dieser Stelle die historische, berühmte Ul Maidin Avenue, auf die man aus der Kopula kommend auffährt. Wir nahmen wie zufällig den Weg an dem Ul-Qoma-seitigen Tor der Kopula vorbei.
    Ich hatte ihn nicht gesehen, wenigstens vorgeblich, als wir auf der KarnStrász vorüberfuhren, auch die reinräumlich zu Greifen nahen Scharen hineinströmender Qomani, die einzelnen Besź mit Touristenanstecker, die sich unter Umständen in demselben physischen Raum bewegten, in dem sie vor einer Stunde bereits unterwegs gewesen waren, nun aber staunend die Gebäude Ul Qomas betrachteten, die zu sehen kurz vorher noch Grenzbruch gewesen wäre.
    In der Nähe des Ul-Qoma-Tors liegt der Tempel des Unentrinnbaren Lichts. Ich kannte ihn von vielen Fotos, und auch wenn ich ihn aus dem fahrenden Auto meiner staatsbürgerlichen Pflicht gehorchend nicht gesehen hatte, war ich mir seines üppigen Zinnenschmucks bewusst, und fast hätte ich zu Dyegesztan gesagt, wie sehr ich mich darauf freute, ihn bald besichtigen zu können. Jetzt überfiel mich Tageslicht, fremdes Tageslicht, als das Auto in flottem Tempo die Kopula verließ. Ich hatte nicht Augen genug. Aus dem Fond starrte ich auf den Tempel. Wir befanden uns plötzlich, verblüffend und zu guter Letzt in derselben Stadt.
    »Zum ersten Mal in Ul Qoma?«
    »Nicht zum ersten Mal, aber das letzte Mal ist lange her.«
 
    Meine Eignungstests für Ul Qoma lagen Jahre zurück. Mein Visum war längst nicht mehr gültig und befand sich in einem abgelaufenen Pass. Für die neuerliche Abordnung hatte ich eine verkürzte Einweisung durchlaufen, zwei Tage, nur ich und die verschiedenen Lehrer - Beamte aus der Botschaft Ul Qomas in Besźel. Vertiefung der Sprachkenntnisse, Lektüre verschiedener Traktate über qomanische Geschichte, staatsbürgerliche Geografie, Schlüsselpunkte des qomanischen Rechts. Wie bei unserem Äquivalent solcher Kurse soll die Schulung einen Bürger Besźels in die Lage versetzen, besser mit der möglicherweise traumatischen Erfahrung fertig zu werden, dass er sich tatsächlich in Ul Qoma befindet, ihm helfen, die lebenslang vertraute Umgebung zu nichtsehen und die Gebäude wahrzunehmen, die er jahrzehntelang nach Kräften bemüht war zu ignorieren.
    »Der Computer hat zu großen Fortschritten in der Akklimatisierungspädagogik geführt«, meinte eine der Lehrerinnen, eine junge Frau, die nicht müde wurde, mein Illit zu loben. »Uns stehen heute sehr ausgefeilte Techniken zur beschleunigten Verinnerlichung der Übungsinhalte zu Gebote, wir arbeiten mit Neurologen zusammen und was nicht alles.« Weil Policzai, kam ich in den Genuss der Luxusvariante. Durchschnittsreisende wurden mit konventionelleren Methoden unterrichtet und brauchten entsprechend länger bis zur Abschlussprüfung.
    Man setzte mich in einen sogenannten Ul-Qoma-Simulator, eine Kabine mit Wänden aus Leinwand, auf die man Fotos und Videos von Besźel projizierte. Die Besźel-Gebäude waren hervorgehoben, die qomanischen Nachbarn durch Reduzierung von Schärfe und Helligkeit weniger ins Auge springend. Immer wieder wurde für

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