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Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
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wo der gewesene Bruder Mao einst gelächelt hatte.
    Aber wir alle leben im 21. Jahrhundert, und Präsident Ul Mak (dessen Bild man dort bewundern kann, wo die Manager besonders untertänig sind) hatte, wie schon sein Vorgänger, Präsident Umbir, zwar keine Abkehr vom bisherigen Kurs verkündet, aber doch eine Neuorientierung auf Ul Qomas Weg in die Zukunft, das Ende restriktiven Denkens, eine Glasnostroika, so der von qomanischen Intellektuellen verbrochene Neologismus als Etikett für das politische Tauwetter. Im Kielwasser der CD- und DVD-Shops, der aus dem Boden schießenden Software-Firmen und Galerien, der optimistischen qomanischen Finanzmärkte, des aufgewerteten Dinars, kam die Neue Politik, so tönte es von Seiten der Regierung, eine lauthals propagierte Öffnung für bis dato als gefährlich erachtete Dissidenz. Nicht dass etwa radikale Gruppierungen, ganz zu schweigen von Parteien, legalisiert wurden, doch ihrem Ideengut gegenüber zeigte man sich aufgeschlossen. Solange sie Zurückhaltung in puncto Versammlungen und Mitgliederwerbung übten, wurden sie geduldet. Hieß es.
    »Aufmachen!« Dhatt hämmerte gegen die Tür. »Hier haben die Unifs ihren Bau«, erklärte er mir. »Von hier aus stehen sie in ständiger telefonischer Verbindung mit ihren Brüdern und Schwestern in Besźel - das ist ihr Beitrag zum Traum von der Einigkeit, stimmt's?«
    »Welche Stellung haben sie hier?«
    »Sie werden gleich erleben dürfen, wie die guten Leutchen beteuern, dass sie nur ein Freundeskreis sind, der sich hier zum Plaudern trifft. Keine Mitgliedsausweise oder Ähnliches, die sind nicht blöd. Man brauchte wahrscheinlich keinen Spürhund, um bei ihnen Kontrabande zu finden, aber darauf haben wir es heute nicht abgesehen.«
    »Auf was dann?« Ich betrachtete bröckelnde qomanische Fassaden, Illit-Graffiti, die einen Soundso aufforderten, sich zu verpissen, und der interessierten (oder auch nicht) Öffentlichkeit verkündeten, der und der sei ein mieser Schwanzlutscher. Man spürte förmlich, dass Ahndung wachte.
    Dhatt schaute mich fest an. »Wer immer Sie angerufen hat, er tat es von hier. Oder geht hier ein und aus. Darauf bin ich bereit zu wetten, und ich möchte hören, was unsere abweichlerischen Freunde dazu zu sagen haben. Aufmachen.« Das in Richtung der Tür. »Lassen Sie sich bloß nicht von dem weinerlichen Ich-bin-klein-mein-Herz-ist-rein-Getue täuschen. Die haben keine Hemmungen, jedem, der ihrer neuen Weltordnung nichts abgewinnen kann, die Scheiße aus dem Leib zu prügeln. Aufmachen!«
    Diesmal gehorchte die Tür und tat sich einen Spaltbreit auf. In der Öffnung stand eine zierliche junge Frau. Beide Seiten ihres Kopfes waren rasiert und mit tätowierten Fischen und Lettern eines uralten Alphabets geschmückt.
    »Wer ... Was wollen Sie?«
    Vielleicht hatte man sie zur Tür geschickt, weil man hoffte, dass sich angesichts ihrer zarten Erscheinung jeder schämen würde, das zu tun, was Dhatt jetzt tat, nämlich der Tür einen heftigen Stoß geben, worauf sie gegen die Wand flog und die Kleine rückwärts in den düsteren Hausflur geschleudert wurde.
    »Alles hierher, wenn ich bitten darf«, rief er und marschierte feldherrengleich ins Haus, vorbei an der derangierten Punkerin.
    Nach kurzer allgemeiner Verwirrung, während der ihnen der Gedanke an Flucht durch den Kopf geschossen sein dürfte und im gleichen Atemzug verworfen wurde, versammelten sich die fünf anwesenden Personen in ihrer Küche. Sie setzten sich nach Dhatts Anweisung auf die wackligen Stühle und würdigten uns keines Blicks. Dhatt nahm an der Schmalseite des Tischs Aufstellung und beugte sich ihnen entgegen.
    »Okay«, sagte er. »Fangen wir an. Jemand hat ein Telefonat getätigt, das mein geschätzter Kollege hier sich gern noch einmal ins Gedächtnis rufen würde, und wir würden gern herausfinden, wer der auskunftsfreudige Anrufer gewesen ist. Um das Verfahren abzukürzen, will ich gar nicht erst so tun, als glaubte ich, dass einer von euch sich freiwillig meldet. Deshalb sagen wir jetzt hübsch der Reihe nach den folgenden Satz: Inspektor, ich habe Informationen für Sie.‹«
    Sie starrten ihn an.
    Grinsend gab er ihnen ein Zeichen anzufangen. Sie blieben stumm, und er verpasste dem nächstsitzenden Mann eine Kopfnuss. Ein Aufschrei der Empörung lief um den Tisch, der Misshandelte schrie vor Schmerz, und mir entfuhr ein abgehacktes Verdammt. Als der Mann langsam den Kopf hob, zeichnete sich an seiner Stirn eine beginnende,

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