Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt und die Stadt

Die Stadt und die Stadt

Titel: Die Stadt und die Stadt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: China Miéville
Vom Netzwerk:
letzter Zeit kam sie öfter darauf zu sprechen. Fragte mich nach den Dissensi, was oder wer dort lebt, solche Dinge. Sie kannte meine diesbezügliche Einstellung, deshalb tat sie so, als wäre alles rein hypothetisch. Auch wenn Sie es komisch finden, mir ist tatsächlich nie der Gedanke gekommen, dass sich da Mahalias Einfluss bemerkbar macht. Hat sie mit ihr darüber gesprochen? Wissen Sie etwas?«
    »Klären Sie uns über die Dissensi auf«, meinte Dhatt. »Kennen Sie deren Position?«
    Bowden zuckte die Achseln. »Einige davon kennen Sie selbst, Detective. Da gibt es kein großes Geheimnis. Ein paar Schritte Hinterhof hier, ein verlassenes Gebäude dort. Fünf Meter oder so in der Mitte vom Nuisti Park. Dissensus. Ul Qoma erhebt Anspruch darauf, Besźel erhebt Anspruch darauf. Die Gebiete sind gewissermaßen Deckungsgleichen oder Niemandsland in beiden Städten, solange das Gezerre andauert. Alles nicht besonders aufregend.«
    »Ich hätte gern eine Liste von Ihnen.«
    »Wenn Sie meinen. Aber Ihre eigene Abteilung kann Sie schneller beliefern, und was Sie von mir bekämen, ist vermutlich seit zwanzig Jahren überholt.«
    »Ich hätte trotzdem gern eine Liste. Moment mal, geheim? Wenn keiner weiß, dass sie umstritten sind, wie können sie umstritten sein?«
    »Tja. Sie sind insgeheim umstritten, SD Dhatt. Man muss seine Denkweise diesem Wahnsinn anpassen.«
    Ich mischte mich ein. »Doktor Bowden, haben Sie einen Anlass zu glauben, dass Sie auf irgendeiner Abschussliste stehen?«
    »Wieso?« Er war schlagartig beunruhigt. »Was ist Ihnen zu Ohren gekommen?«
    »Nichts, nur ...« Ich machte eine Pause. »Unsere Nachforschungen führen unter anderem zu der Vermutung, dass jemand es auf Personen abgesehen haben könnte, die in die Orciny-Forschung involviert sind.« Dhatt machte keine Anstalten, mich zu unterbrechen. »Vielleicht sollten Sie vorsichtig sein ...«
    »Wie? Ich bin in keine Orciny-Forschung involviert. Ich meide das Thema seit Jahren wie der Teufel das Weihwasser.«
    »Aber Sie müssen zugeben, dass Sie seinerzeit die Sache ins Rollen gebracht haben, und Sie gelten als der Doyen dieses inoffiziellen Forschungszweigs, ob Sie wollen oder nicht. Haben Sie etwas erhalten, was man im weitesten Sinne als Drohung identifizieren könnte?«
    »Nein ...«
    »Man hat bei Ihnen eingebrochen.« Das kam von Dhatt. »Vor ein paar Wochen.« Wir beide, Bowden und ich, schauten ihn an. Dhatt zeigte sich von meiner Überraschung ungerührt. Bowdens Mund ging auf und zu.
    »Aber das war nur ein Einbruch«, sagte er. »Es wurde nicht einmal etwas gestohlen ...«
    »Ja, weil die Einbrecher überrascht wurden - das haben die Kollegen damals angenommen. Aber es wäre auch möglich, dass sie gar nicht vorhatten, etwas zu stehlen.«
    Bowden und heimlich auch ich schauten uns im Zimmer um, als könnte uns unversehens ein dämonisches Juju oder elektronisches Ohr oder Menetekel ins Auge springen.
    »Detective, Inspektor, das ist vollkommen absurd, es gibt kein Orciny ...«
    »Aber«, bemerkte Dhatt, »es gibt so etwas wie Fanatiker.«
    »Von denen einige«, ergänzte ich, »aus welchem Grund auch immer sich für die Thesen interessieren, die Sie entwickelt haben. Sie und Miss Rodriguez, Miss Geary ...«
    »Ich glaube nicht, dass man sagen kann, eine von ihnen hätte Thesen entwickelt ...«
    »Wie dem auch sei«, schnitt Dhatt ihm das Wort ab. »Der springende Punkt ist, Sie haben jemandes Aufmerksamkeit auf sich gelenkt. Nur wissen wir nicht, warum oder ob es ein Warum gibt.«
    Bowdens Miene drückte absolute Fassungslosigkeit aus.

16. Kapitel
 
    Dhatt nahm die Liste, die Bowden ihm ausdruckte, und beauftragte einen seiner Handlanger, sie zu ergänzen und entsandte Beamte zu den isolierten Grundstücken, baufälligen Gebäuden, Bordsteinabschnitten und handtuchgroßen Abschnitten der Uferpromenade, damit sie Steine umdrehten und an den Rändern von umstrittenen, funktionell deckungsgleichen Arealen herumstocherten. Abends telefonierte ich wieder mit Corwi, doch abgesehen von Witzeleien über die hoffentlich abhörsichere Leitung, hatten wir uns nichts mitzuteilen.
    Professor Nancy hatte einen Ausdruck der ihr vorliegenden Kapitel von Mahalias Doktorarbeit ins Hotel geschickt. Zwei waren sozusagen fertig, zwei noch im Entwurfsstadium. Ich gab die Lektüre bald auf, nahm mir stattdessen die Fotokopien ihrer von Randbemerkungen überwucherten Fachbücher vor. Erstaunlich die Diskrepanz zwischen dem behäbigen, trockenen Ton der

Weitere Kostenlose Bücher