Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
die erste synthetische, die Alvin seit seiner Ankunft in Lys zu essen bekam. Durch eine Öffnung in der Decke wurde fortwährend Luft in die Kuppel gesaugt – der Materiekonverter sammelte Rohstoffe und wirkte sein alltägliches Wunder. Generell bevorzugte Alvin synthetische Nahrung, weil ihm die Zubereitung anderer Lebensmittel geradezu ekelhaft unhygienisch erschien. Mit Materiekonvertern wusste man wenigstens ganz genau, was man zu sich nahm …
Sie setzten sich zum Abendessen, als die Nacht immer schwärzer wurde und die Sterne herauskamen. Als sie gegessen hatten, war es außerhalb ihres Lichtkreises völlig dunkel, und am Rand des Lichtes konnte Alvin die verschwommenen Umrisse von Waldtieren erkennen, die aus ihren Verstecken gekrochen waren. Von Zeit zu Zeit sah er den Widerschein des Lichtes aufblitzen, wenn ihn helle Augen anstarrten, aber die Tiere kamen nicht näher, und so konnte er sie nicht genau erkennen.
Es war sehr friedlich, und Alvin fühlte sich rundherum wohl. Eine Weile lagen sie auf ihren Sofas und sprachen über die Dinge, die sie gesehen hatten, das Geheimnis, das sie beide einhüllte, und die vielen Einzelheiten, in denen sich ihre beiden Kulturen unterschieden. Hilvar war von dem Wunder der Ewigkeitsanlagen fasziniert, die Dias par dem Zugriff der Zeit entzogen hatten, und Alvin stellte fest, dass einige seiner Fragen sehr schwer zu beantworten waren.
»Was ich nicht verstehe«, sagte Hilvar, »ist, wie die Planer Diaspars sicher sein konnten, dass mit den Gedächtnisanlagen nie etwas schiefgehen könnte. Du sagst, dass die Informationen über die Stadt und die Menschen, die darin leben, als Strukturen elektrischer Impulse in Kristallen aufbewahrt werden. Nun, Kristalle halten ewig – aber was ist mit den Stromkreisen?«
»Ich habe Khedron dieselbe Frage gestellt, und er sagte mir, dass die Gedächtnisanlagen in dreifacher Ausfertigung vorhanden sind. Jede der drei Anlagen kann die Stadt erhalten, und wenn bei einer davon eine Störung auftritt, wird sie von den anderen beiden sofort korrigiert. Nur wenn dieselbe Störung zur selben Zeit bei zwei Anlagen auftreten würde, könnte sich ein dauernder Schaden er geben – doch die Wahrscheinlichkeit ist unendlich gering.«
»Und wie wird die Beziehung zwischen den in den Gedächtnisanlagen gespeicherten Mustern und der aktuellen Struktur der Stadt aufrechterhalten? Zwischen dem Plan sozusagen und dem Objekt, das er beschreibt?«
Hier versagten Alvins Kenntnisse. Er wusste, dass die Antwort mit Technologien zu tun hatte, die auf der Beeinflussung des Raumes selbst beruhten – aber wie man ein Atom starr an einer Stelle fixieren konnte, entsprechend den an anderer Stelle gespeicherten Angaben, vermochte auch er nicht zu erklären.
In einem plötzlichen Einfall deutete er auf die unsichtbare Kuppel, die sie vor der Nacht schützte.
»Sag mir, wie dieses Dach von dem Kasten am Boden erzeugt wird«, antwortete er, »und dann erkläre ich dir, wie die Anlagen funktionieren.«
Hilvar lachte. »Ich glaube, das ist ein guter Vergleich. Du müsstest einen unserer Feldtheorieexperten fragen, wenn du das wissen willst. Ich habe jedenfalls keine Ahnung davon.«
Diese Antwort stimmte Alvin nachdenklich. Es gab also noch heute Leute in Lys, die verstanden, wie ihre Maschinen funktionierten; das war mehr, als man von den Bewohnern Diaspars sagen konnte.
So unterhielten sie sich und diskutierten, bis Hilvar sagte: »Ich bin müde. Was ist mit dir, wirst du schlafen können?«
Alvin rieb sich die müden Glieder.
»Ich möchte gerne«, gestand er, »aber ich weiß nicht, ob es geht. Es kommt mir immer noch wie ein seltsamer Brauch vor.«
»Es ist weit mehr als ein Brauch«, lächelte Hilvar. »Ich habe gehört, dass es einst für jeden Menschen absolut notwendig war. Wir selbst schlafen mindestens einmal am Tag, wenn auch nur ein paar Stunden. Während dieser Zeit erfrischen sich Körper und Geist. Schläft man denn in Diaspar überhaupt nie?«
»Nur bei ganz seltenen Gelegenheiten«, sagte Alvin. »Jeserac, mein Lehrer, hat es ein- oder zweimal getan, nachdem er eine außergewöhnliche geistige Anstrengun gen vollbracht hatte. Ein gut entwickelter Körper sollte sol che Ruheperioden nicht nötig haben; wir konnten schon vor Millionen Jahren darauf verzichten.«
Schon als er diese prahlerischen Worte aussprach, strafte er sie Lügen. Er fühlte eine Müdigkeit wie nie zuvor; sie schien sich von seinen Schenkeln über den ganzen Körper
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