Die Stadt und die Sterne - Mit einem Vorwort von Gary Gibson
Reflektor.«
»Aber es ist so schwarz!«
»Nur für unsere Augen. Wir wissen nicht, welche Strahlung sie verwendet haben.«
»Aber es muss doch noch mehr vorhanden sein! Wo ist denn nun die Festung?«
Hilvar deutete auf den See.
»Sieh genau hin«, sagte er.
Alvin versuchte, mit seinen Augen durch die zitternde Oberfläche des Sees zu dringen und die in seinen Tiefen verborgenen Geheimnisse zu ergründen. Anfangs konnte er nichts sehen; dann erkannte er an den seichten Stellen am Ufer ein schwaches Netzmuster aus Licht und Schatten. Er konnte das Muster bis zum Mittelpunkt des Sees verfolgen, bis in der Tiefe des Wassers alle weiteren Einzelheiten verschwanden.
Der dunkle See hatte die Festung verschlungen. Dort unten lagen die Ruinen einst mächtiger Gebäude, zerstört von der Zeit. Aber nicht alle waren untergegangen, denn auf der anderen Seite des Kraters bemerkte Alvin jetzt Steinhaufen und große Blöcke, die einst eine massive Mauer gebildet haben mussten. Das Wasser umspielte sie, aber es war noch nicht hoch genug gestiegen, um sie ganz zu bedecken.
»Wir umrunden den See«, sagte Hilvar leise, als habe die majestätische Einöde eine eigentümliche Scheu in ihm ausgelöst. »Vielleicht finden wir etwas in den Ruinen.«
Auf den ersten paar Hundert Metern war die Kraterwand so steil und glatt, dass man sich kaum aufrecht halten konnte, aber nach einer Weile gelangten sie zu sanfteren Hängen, auf denen sie ohne Schwierigkeit vorwärtskamen. In der Nähe des Seeufers war die glatte Schwärze des Wasserspiegels mit einer dünnen Schicht Erde bedeckt, die von den Winden herbeigetragen worden sein musste.
Fünfhundert Meter entfernt türmten sich titanische Stein blöcke aufeinander, wie verstreutes Spielzeug eines kindlichen Riesen. Hier war ein Teilstück der massiven Mauer erkennbar; dort bezeichneten zwei gemeißelte Obelisken die Stelle, an der sich einst ein mächtiger Eingang befunden hatte. Überall wuchsen Moos und Kriechpflanzen und winzige, verkümmerte Bäume. An diesem Ort schwieg selbst der Wind.
So stießen Alvin und Hilvar auf die Ruinen von Shalmirane. Gegen diese Mauern hatten Kräfte, die eine Welt zerstören konnten, Flammen und Donner geschleudert und waren zurückgeschlagen worden. Einst hatte dieser friedliche Himmel mit Feuer aus dem Inneren vieler Sonnen gebrannt, und die Berge von Lys mussten sich unter dem Zorn ihrer Herren wie lebende Wesen geduckt haben.
Niemals war es jemandem gelungen, Shalmirane zu erobern. Aber jetzt war die Festung, die unüberwindliche Festung, doch gefallen – gefangen und zerstört durch die unermüdlichen Ranken des Efeus, Generationen blind wühlender Würmer und dem langsam steigenden Wasser des Sees.
Überwältigt von diesem majestätischen Anblick, gingen Alvin und Hilvar schweigend auf die kolossale Ruine zu. Sie folgten dem Schatten einer verfallenen Mauer und gerieten in eine Schlucht, die aussah, als seien die Felsenberge rechts und links auseinandergerissen worden. Vor ihnen lag der See, und kurz darauf standen sie an seinem dunklen Wasser. An dem schmalen Ufer brachen sich unaufhörlich winzige Wellen.
Hilvar sprach als Erster, und seine Stimme klang ein wenig unsicher. Alvin sah ihn überrascht an.
»Das verstehe ich nicht«, sagte Hilvar langsam. »Es weht kein Wind; was also verursacht die Wellen? Das Wasser müsste eigentlich vollkommen ruhig sein.«
Ehe Alvin eine Antwort einfiel, kniete Hilvar nieder, drehte den Kopf auf die Seite und tauchte sein rechtes Ohr in das Wasser. Alvin fragte sich, was er in einer so albernen Stellung zu entdecken hoffte; dann wurde ihm klar, dass er horchte. Mit Widerwillen – das Wasser sah keineswegs einladend aus – folgte er Hilvars Beispiel.
Der erste Kälteschock hielt nur eine Sekunde an; als er vergangen war, nahm er schwach, aber deutlich, ein gleichmäßiges, rhythmisches Pulsieren wahr. Es schien, als könnte er, weit unten in den Tiefen des Sees, das Schla gen eines Riesenherzens hören.
Sie schüttelten sich das Wasser aus dem Haar und sahen sich stumm an. Keiner wollte aussprechen, was er dachte – dass der See lebte.
»Es wäre am besten«, sagte Hilvar, »wenn wir uns mit den Ruinen beschäftigten und uns vom See fernhielten.«
»Glaubst du, dass da unten irgendetwas lebt?«, fragte Alvin und deutete auf die rätselhaften Wellen. »Könnte es gefährlich sein?«
»Nichts ist gefährlich, was Verstand besitzt«, erwiderte Hilvar.
Stimmt das?, dachte Alvin. Und was ist dann
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