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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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unfreundlich. »Wieso haben Sie den Wirt
einen Halsabschneider genannt?« »Weil er es ist«, behauptete
Vom Dorff. »Ich hoffe doch, Sie haben ihn nicht für diese
Giftbrühe bezahlt, die er Ihnen vorgesetzt hat?« Er wartete
Trautmans Antwort gar nicht ab, sondern herrschte den Wirt in
einer Sprache an, die Mike nicht verstand. Der Mann kam
zögernd zurück und starrte ihn trotzig an, griff aber nach
einigen Augenblicken trotzdem in die Tasche und zog die Perle
hervor, die Trautman ihm gegeben hatte. Vom Dorff nahm sie
ihm weg, drehte sie einen Moment lang zwischen den Fingern
und legte sie dann vor den völlig überraschten Trautman auf die
Tischplatte.
»Ein wunderbares Stück«, sagte er. »Sie sollten vorsichtiger
mit Ihrem Eigentum sein, Herr Trautstein. Glauben Sie mir,
diese Eskimos sehen nur aus wie halbwegs zivilisierte
Menschen. Aber unter dem Schmutz auf ihren Gesichtern sind
sie immer noch die primitiven Wilden, die sie immer schon
gewesen sind. Und ich fürchte, das werden sie auch für immer
bleiben.«
»Aber ich kann den Mann sonst nicht bezahlen«, sagte
Trautman.
Vom Dorff grinste. »Wenn Sie gestatten, erledige ich das.
Und ich besorge Ihnen und Ihrem Freund auch ein vernünftiges
Nachtlager.«
»Ich weiß nicht, ob ich das annehmen kann«, sagte Trautman.
»Sie sind ein vollkommen Fremder. Warum tun Sie das?«
»Wir sind Landsleute«, sagte Vom Dorff in leicht
überraschtem Ton. »Für mich ist es eine Ehrensache, einem
Landsmann zu helfen, der in Not ist.«
»Wie kommen Sie darauf, dass wir in Not sind?«
»Niemand, der seine fünf Sinne noch beisammen hat, kommt
freiwillig nach Sadsbergen«, grinste Vom Dorff. Dann lachte er,
zog ein paar Münzen aus der Tasche und warf sie auf den Tisch,
während er aufstand. »Kommen Sie, Kapitän. Ich habe richtiges
Bier zu Hause. Deutsches Bier. Sie mögen das doch, oder?«
    Vom Dorffs Haus lag am anderen Ende der Stadt, was aber
trotzdem nur einen Fußmarsch von zehn Minuten bedeutete.
Sadsbergen war wirklich eine kleine Stadt. Sie bestand nur aus
einigen Dutzend kleiner, fast ärmlicher Hütten und befand sich
fest im Griff des Winters. Nur in den wenigsten Häusern
brannte Licht und sie trafen keinen einzigen Menschen, obwohl
es noch nicht einmal zehn Uhr war. Hätte der Wind nicht dann
und wann das Bellen eines Hundes herangetragen, hätte man
glauben können, in einer Geisterstadt zu sein.
    Oder in einer Stadt, deren Bewohner vor irgendetwas Angst
hatten.
Als sie sich Vom Dorffs Haus näherten, berührte ihn
Trautman verstohlen am Arm und machte eine Kopfbewegung
nach oben. Mikes Blick folgte der Geste und er entdeckte etwas,
was wirklich nicht in eine kleine Inuit-Siedlung am Ende der
Welt passte: Das vom Eis verkrustete Gespinst einer Antenne.
Hastig senkte er den Blick wieder. Dass mit Vom Dorff etwas
nicht stimmte, war ihm längst klar. Aber der Deutsche musste
jetzt nicht unbedingt merken, dass sie es gemerkt hatten.
Sie betraten das Haus und Mike erlebte eine Überraschung.
Drinnen war es nicht nur behaglich warm und überraschend
hell, das Haus war regelrecht luxuriös eingerichtet. Von einem
offenen Kamin, in dem ein Feuer prasselte, bis hin zu antiken
Möbeln gab es alles, was das Herz begehrte.
»Erstaunlich!«, sagte Trautman, während er sich aus seiner
Jacke zu schälen begann.
Vom Dorff klatschte in die Hände, worauf sich eine Seitentür
öffnete und ein einfach gekleideter Inuit eintrat, der Trautman
und Mike aus den Jacken half. »Manchmal ist es regelrecht
peinlich«, gestand Vom Dorff mit einem Grinsen, das seine
Worte Lügen strafte. »Aber ich gestehe, dass ich einen gewissen
Luxus auch genieße. Das Kaiserreich sorgt eben für seine
Bediensteten.«
»Das Kaiserreich?«
»Oh, ich vergaß ...« Vom Dorff deutete mit einer Geste auf
eine kleine Sitzgruppe am Kamin. »Ich bin der hiesige
Handelsattaché. Nicht dass es hier viel zu handeln gäbe,
wenigstens im Moment noch nicht, aber in Berlin ist man wohl
der Meinung, dass deutscher Geschäftssinn auch im hintersten
Winkel der Welt noch präsent sein sollte.«
Trautman sagte nichts dazu, sondern setzte sich und auch
Mike nahm am Kamin Platz. Nach der Kälte draußen war das
Feuer nicht nur wohltuend, sondern wirkte auch fast
augenblicklich einschläfernd. Mikes Glieder wurden schwer
und er hatte plötzlich Mühe, die Augen offen zu halten.
Vom Dorffs Hausdiener hatte ihre Sachen weggebracht und
kam nun zurück. Vom Dorff gab ihm in seiner Muttersprache
und scharfem Ton

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