Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
hat?«, fragte
Mike impulsiv.
Kanuat sah ihn irritiert an, aber Trautman fuhr fort, ehe er
antworten konnte. »Wir müssen dorthin. Wenn Sie uns nicht
begleiten wollen, habe ich Verständnis dafür. Bringen Sie uns,
so weit es geht, und erklären Sie uns den Weg.« Er reichte
Kanuat den Beutel. »Die Perlen können Sie trotzdem behalten.«
»Es geht nicht darum«, antwortete Kanuat
– was ihn
allerdings nicht daran hinderte, den Beutel in Blitzesschnelle in
der Tasche verschwinden zu lassen. »Niemand geht dorthin.
Dieser Ort ist verflucht. Böse Geister leben dort. Es ist kein
Platz für Menschen.«
»Wir glauben nicht an Geister«, sagte Trautman sanft.
»Weder an böse noch an gute.«
»Sie sprechen wie alle weißen Männer, die hierher kommen
und glauben, über unser Land und unser Leben bestimmen zu
können«, antwortete Kanuat.
»Im letzten Sommer waren schon einmal Männer wie Sie hier.
Auch sie haben über unsere Legenden gelacht. Wir haben sie
gewarnt, zum Berg der Geister zu gehen, aber sie haben nicht
auf uns gehört. Niemand hat sie je wieder gesehen.«
»Männer wie ich?«, wollte Trautman wissen. Er tauschte
einen raschen Blick mit Mike. »Erzählen Sie mir von ihnen!«
»Es waren viele«, sagte Kanuat. »Mehr als zwanzig. Sie
hatten eine Menge Ausrüstung und Waffen und Fahrzeuge mit
Ketten und Kufen. Das alles hat ihnen nichts genutzt.«
»Und was hat Vom Dorff dazu gesagt?«
»Nichts.« Kanuat machte ein abfälliges Geräusch. »Er ist
feige. Sie waren zu viele, als dass er es gewagt hätte, sich gegen
sie zu stellen.«
»Was genau wollten sie hier?«, fragte Trautman. »Sie sagten,
sie wären gekommen, um die Geheimnisse unseres Landes zu
ergründen«, antwortete Kanuat.
»Also eine wissenschaftliche Expedition.«
»Aber als wir ihnen unsere Geheimnisse erzählten, da haben
sie nicht auf uns gehört«, fuhr Kanuat unbeeindruckt fort. »Sie
haben darüber gelacht und gesagt, wir wären abergläubische
Wilde. Genau wie ihr.«
»Ich lache nicht«, sagte Trautman ernst. »Ich weiß, dass es
Dinge auf der Welt gibt, die wir nicht erklären können. Aber
nicht alles, was wir nicht verstehen, muss auf das Wirken von
Geistern und Zauberei zurückzuführen sein.«
»Und nicht alles, was ihr euch zurechterklärt und mit eurer
Wissenschaft begründet, muss wahr sein«, gab Kanuat zurück.
Er machte eine unwillige Geste. »Ich muss jetzt nach den
Hunden sehen. Ich bin gleich zurück.«
Mike sah ihm nachdenklich hinterher. In den wenigen
Minuten, in denen sie geredet hatten, war der Wind tatsächlich
zu einem regelrechten Sturm geworden, sodass Kanuats Gestalt
schon nach wenigen Schritten von weißem Schneegestöber
verschluckt wurde. Mike schloss hastig den Eingang hinter ihm
und wandte sich dann an Trautman.
»Eine wissenschaftliche Expedition«, sagte er. »Das müssen
die Männer sein, die den SOS-Spruch abgesetzt haben.«
Trautman nickte. Er schwieg.
»Sie wirken nicht besonders überrascht«, fuhr Mike fort.
»Irgendjemand muss ja schließlich den Morseapparat bedient
haben«, antwortete Trautman lahm. »Oder glaubst du
vielleicht an Geister?«
»Sie wissen irgendetwas über diese Expedition«, behauptete
Mike. »Sie wussten es schon, bevor wir hierher kamen, habe ich
Recht?«
Trautman schwieg beharrlich weiter, aber sein
Schweigen war im Grunde schon Antwort genug.
    Der Sturm steigerte sich innerhalb der nächsten Minuten zu
einem ausgewachsenen Orkan, der das Zelt und seine drei
Insassen gute drei Stunden lang beutelte. Kanuat blieb so lange
draußen, dass Mike sich Sorgen um ihn zu machen begann, und
kaum war er zurück, da fing der Orkan erst richtig an zu toben.
Sein Heulen wurde so laut, dass eine Unterhaltung ganz und gar
unmöglich wurde. Kanuat nutzte die Zeit, die der Orkan sie zur
Untätigkeit verdammte, zu dem wahrscheinlich einzig
Vernünftigen: Er rollte sich auf dem Boden zusammen und
schlief.
    Mike betrachtete ihn mit einer Mischung aus Erstaunen und
Neid. Er hätte eine Menge darum gegeben, dasselbe tun zu
können, aber er war viel zu sehr damit beschäftigt, dem Heulen
des Sturmes zu lauschen und Angst zu haben.

Endlich hörte der Sturm auf und Kanuat öffnete wie auf
Kommando die Augen und setzte sich auf. »Es wird Zeit«, sagte
er. »Wir haben noch einen weiten Weg vor uns.« Ohne ein
weiteres Wort verließ er das Zelt. Mike und Trautman tauschten
einen überraschten Blick, dann folgten sie ihm.
    Der Anblick, der sich draußen bot, war im ersten Augenblick
ein Schock.

Weitere Kostenlose Bücher