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Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
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Schlitten.
»Steigt ab«, sagte er. »Wir rasten hier.«
    Mike und Trautman gehorchten, doch Trautman schien von
der Unterbrechung der Fahrt nicht begeistert. »Jetzt schon?«,
sagte er. »Wir sind noch sehr nahe an der Stadt, meinen Sie
nicht?«
    »Ein Sturm zieht auf«, erwiderte Kanuat. »Niemand wird uns
verfolgen. Helft mir das Zelt aufzubauen. Rasch!«
Mike sah den Inuit zweifelnd an und warf dann einen Blick in
den Himmel. Über ihnen war nicht eine einzige Wolke zu sehen
und der Wind hatte während der letzten Minuten sogar deutlich
an Kraft verloren. Trotzdem tat Mike, was Kanuat verlangt
hatte. Unter der Anweisung des Inuit errichteten sie ein kleines,
aus kunstvoll zusammengenähten Fellstückchen bestehendes
Zelt, das sich in den Windschatten der Felsen schmiegte. Als sie
fertig waren, schirrte Kanuat die Hunde ab. Die Tiere stießen
ein erleichtertes Kläffen aus und verschwanden wie der Blitz.
»Wollen Sie sich nicht um sie kümmern?«, fragte Mike.
Kanuat schüttelte den Kopf. »Sie geben schon auf sich selbst
Acht«, sagte er, »besser, als ich es könnte. Du magst Tiere sehr,
wie?« Als er dies sagte, erschien zum ersten Mal, seit Mike ihn
kannte, ein flüchtiges Lächeln auf seinem Gesicht. Er wurde
jedoch sofort wieder ernst und deutete auf das Zelt. »Geht
hinein. Der Sturm bricht gleich los.«
Mike sah erneut in den Himmel. Der Anblick hatte sich nicht
verändert und der Wind war nun fast ganz zum
Erliegen
gekommen. Er widersprach jedoch nicht, sondern kroch
gehorsam in das Zelt. Nachdem Kanuat und Trautman ihm
gefolgt waren, war es drinnen so drückend eng, dass Mike das
Gefühl hatte, kaum noch richtig atmen zu können. Das Zelt war
eindeutig nur für eine Person gedacht, nicht für drei. »Wir sind
noch gar nicht dazu gekommen, uns für Ihre Hilfe zu
bedanken«, sagte Trautman. »Ich hoffe, Sie bekommen nicht zu
viel Ärger. Vom Dorff wird nicht sehr begeistert von dem sein,
was Sie getan haben.«
»Das spielt keine Rolle mehr«, sagte Kanuat. Sein Gesicht
blieb vollkommen ausdruckslos. »Es war schon um mich
geschehen, als sie euch bei mir entdeckt haben. Sie verzeihen
keinen Verrat.«
»Das tut mir Leid«, sagte Trautman betroffen. »Das wollten
wir nicht.«
»Ich weiß«, antwortete Kanuat. »Machen Sie sich keine
Vorwürfe. Es war meine Entscheidung, mich mit euch
einzulassen. Ich hätte es nicht tun müssen.«
»Und warum haben Sie es dann getan?«, fragte Mike.
»Die Feinde der Deutschen sind unsere Verbündeten«,
antwortete Kanuat.
»Nicht alle Deutschen sind schlecht«, sagte Trautman.
»Das weiß ich«, sagte Kanuat. »Aber die, die hier sind, sind
es. Ich hätte euch nicht geholfen, hätte ich geglaubt, dass ihr wie
sie seid.«
»Entschuldigen Sie«, murmelte Mike.
Ein plötzlicher Windstoß traf das Zelt und ließ sie alle
verstummen. Trautman warf einen ängstlichen Blick zum
Eingang, aber Kanuat zeigte sich vollkommen unbeeindruckt.
»Sie hatten mir eine Bezahlung versprochen«, sagte er, an
Trautman gewandt. »Ich brauche sie jetzt.«
Trautman wirkte ein wenig überrascht, griff aber trotzdem
unter seine Jacke und zog die Perlen hervor. Mit spitzen Fingern
nahm er eine der Perlen heraus, zögerte aber, sie Kanuat zu
geben.
»Verstehen Sie mich nicht falsch«, sagte Kanuat. »Es geht
nicht um mich. Ich kann für lange Zeit nicht wieder nach Hause
zurück. Vielleicht Jahre. Ich muss meine Familie versorgen.«
Trautman nickte. Dann ließ er die Perle wieder in den Beutel
zurückfallen, schnürte ihn zu und wog das ganze Säckchen
nachdenklich in der Hand. »Das gehört Ihnen«, sagte er, »wenn
Sie uns zu unserem Ziel und sicher wieder zurück zur Küste
bringen.«
Zum ersten Mal hatte sich Kanuat nicht in der Gewalt. Auf
seinem Gesicht erschien ein Ausdruck maßloser Verblüffung.
Allerdings nicht die Spur von Gier – obwohl Trautman ihm ein
wahres Vermögen in Aussicht gestellt hatte.
Trotzdem zögerte er nach dem Beutel zu greifen. »Wohin
wollt ihr?«, fragte er.
»Genau weiß ich es selbst nicht«, gestand Trautman. »Ich
kenne nur die Längen- und Breitengrade. Aber es kann nicht
sehr weit von hier sein.«
»Ich kenne mich mit diesen Angaben aus«, sagte Kanuat.
Trautman nannte ihm die Positionsangaben und Kanuat
überlegte einen Augenblick. »Der Berg der Geister«, sagte er.
Dann schüttelte er den Kopf. »Das ist unmöglich. Niemand geht
dorthin. Und niemand, der es bisher versucht hat, ist je
zurückgekommen.«
»Wie denn, wenn es noch nie jemand versucht

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