Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt unter dem Eis

Die Stadt unter dem Eis

Titel: Die Stadt unter dem Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Hohlbein
Vom Netzwerk:
keinerlei Erschöpfung oder Müdigkeit.
Immerhin schien Kanuat das auch zu begreifen, denn er
schwang seine Peitsche noch heftiger und korrigierte den Kurs
des Gespanns, sodass sie sich jetzt nicht mehr entlang der
niedrigen Felsformation bewegten, in deren Schutz sie
die
Nacht verbracht hatten, sondern direkt hinaus auf die freie
Eisfläche.
»Kanuat!«, schrie Mike. »Was tun Sie? Da draußen holen sie
uns in ein paar Minuten ein!«
Kanuat antwortete nicht, sondern spornte seine Hunde zu noch
größerem Tempo an und Trautman machte eine unwirsche
Geste. »Lass ihn!«, sagte er. »Er wird schon wissen, was er tut.«
Mike konnte nur noch beten, dass es so war. Ihm selbst kam
es jedenfalls nicht so vor. Auch die Wagen änderten ihren Kurs
entsprechend, und kaum waren sie auf dem Eis, da legten sie
gehörig an Tempo zu. Auf dem glatten Untergrund fanden ihre
breiten Ketten genug Halt, um immer noch weiter zu
beschleunigen. Sie holten so schnell auf, dass es nur noch
Minuten dauern konnte, bis sie heran waren.
Und dann war einer der drei Wagen einfach verschwunden.
Die Wolke aus brodelndem Schnee, die seinen Weg
markierte, hing noch eine Sekunde lang in der Luft und trieb
dann langsam auseinander, aber der Wagen war buchstäblich
wie vom Erdboden verschluckt.
»Was ist passiert?«, keuchte Trautman. »Wo ist er
geblieben?«
Kanuat lachte. »Das hier ist ein zugefrorener See«, antwortete
er. »Das Eis taut nie ganz auf, aber es ist an manchen Stellen
auch nicht sehr dick. Automobile sind schwer. Hundeschlitten
sind leicht!«
Mike war erschüttert. Weder der Wagen noch die Männer, die
darin gesessen waren, tauchten wieder auf. Und ihm war auch
klar, dass die Männer in dem eisigen Wasser keine
Überlebenschance hatten. Umgekehrt hätten sie vermutlich
keine Hemmungen gehabt, Trautman und ihn umzubringen,
aber das spielte keine Rolle. Sowohl Mike als auch allen
anderen an Bord der NAUTILUS war ein Menschenleben
heilig. Ganz gleich, wem es gehörte und was derjenige damit
anfing.
Ein peitschender Knall riss ihn aus seinen Gedanken. Nicht
sehr weit vor ihnen spritzte das Eis auf, aber es vergingen noch
einmal einige Sekunden, bis Mike wirklich begriff, was
geschah. Die Soldaten schossen auf sie!
Kanuat steuerte das Gespann nach rechts, links, wieder nach
rechts und wieder nach links. Die Wagen hinter ihnen hüteten
sich, die Manöver nachzuvollziehen, denn die Fahrer
argwöhnten wahrscheinlich zu Recht, dass der Inuit sie auf
dünnes Eis locken wollte. Sie waren auch langsamer geworden,
denn das Schicksal ihrer Kameraden hatte den Fahrern drastisch
genug vor Augen geführt, auf welch dünnem Eis sie sich
bewegten – und das im wortwörtlichen Sinne.
Auch Mike war alles andere als wohl in seiner Haut.
Vermutlich war es nur Einbildung, aber er glaubte ein immer
deutlicheres Knirschen zu hören, das direkt aus dem Eis unter
ihm drang. Außerdem kamen die Wagen noch immer näher,
wenn auch nicht mehr ganz so schnell. Und die Männer
schossen auch noch immer auf sie. Auch wenn die Schützen
praktisch keine Chance hatten, das wild hin und her
schlingernde Gespann zu treffen, bestand doch immer noch die
Gefahr eines Zufallstreffers.
Einer der beiden Wagen brach plötzlich auf einer Seite ins Eis
ein. Eine gewaltige Kaskade weißer Splitter und glitzernder
Wassertropfen stob hoch, doch gerade als Mike schon glaubte,
dass auch dieser Wagen im Eis verschwinden müsse, grub sich
das Fahrzeug auf wirbelnden Ketten selbst wieder aus und
setzte die Verfolgung fort. Der zweite Wagen war
währenddessen schon bedenklich nahe gekommen.
Und schließlich geschah das, was Mike insgeheim schon die
ganze Zeit über befürchtet hatte: Wieder krachte ein Schuss,
aber diesmal prallte die Kugel nicht harmlos vom Eis ab.
Stattdessen heulte einer der Hunde schrill auf und brach in
vollem Lauf zusammen und das brachte das gesamte Gespann
durcheinander. Zwei, drei weitere Hunde stießen zusammen,
Leinen zerrissen, Holz zerbrach, dann überschlug sich das
gesamte Gespann, Mike, Trautman und Kanuat wurden in
verschiedene Richtungen davongeschleudert.
Als sich Mikes Blick wieder klärte, bot das Eis einen Anblick
der Verwüstung. Kanuats Schlitten war vollkommen zerstört.
Die Hunde hatten sich losgerissen und rannten aufgeregt
kläffend und zähnefletschend hin und her und Kanuat selbst
kroch auf Händen und Knien über das Eis, um zu den
verwundeten Tieren zu gelangen. Auch Trautman schien
einigermaßen glimpflich davongekommen zu sein, denn

Weitere Kostenlose Bücher