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Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)

Titel: Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jochen Hellbeck
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politisch-moralischen Zustand der Deutschen aufhalten. Oben habe ich schon gesagt, dass ihr politisch-moralischer Zustand kraft einer Reihe von Faktoren anfangs stabil war. Man muss allerdings sagen, dass die riesigen Verluste, die den Deutschen im September zugefügt wurden, in gewissem Maße einen Zustand extremer Erschöpfung bedingt haben. Die ganze Zeit hielt sie die Hoffnung aufrecht, das 14. Panzerkorps würde, sobald Stalingrad eingenommen wäre, Urlaub bekommen und in Frankreich überwintern, und von dieser Hoffnung lebten sie. Außerdem muss gesagt werden, dass die Gefechte im September und Oktober dazu führten, dass die Deutschen unserer Antikriegspropaganda gerne das Ohr liehen. Unsere Flugblätter fanden wir bei Gefangenen, bei Toten. Dabei erzählten deutsche Kriegsgefangene, den stärksten Eindruck hätte auf sie das Flugblatt »Papi ist tot« gemacht. Darauf war ein vierjähriges Mädchen abgebildet. Sie hält einen Brief in der Hand, und es liegt ein getöteter deutscher Soldat da. Ein Gefangener hat mir erzählt, sein Kamerad hätte das Flugblatt mit einer Mitnahmegelegenheit nach Hause geschickt.

Sowjetisches Flugblatt, das bei Stalingrad zum Einsatz kam.
    Generell kommt die soziale Propaganda, die das Hitlerregime entlarven will, nicht gut an, [725]   die Antikriegspropaganda dagegen kommt an. Durch die Antikriegspropaganda ziehen sie ihre Schlüsse – Sie wissen ja, wie stumpf und beschränkt die Deutschen sind.
    Mitte Oktober sendete ich in der Gegend von Wolga und der Steppenschlucht Suchaja mit einer Feldstation. Ich muss sagen, dass wir aus einem Unterstand in etwa 180 Meter Entfernung von den Deutschen sendeten. Sobald der Lautsprecher zu reden begann, gab es Bewegung in den Verbindungsgängen. Die Deutschen kamen eilig näher an den Lautsprecher heran. In der Regel schossen sie während einer Sendung nicht. Nach der Sendung schossen sie wieder.
    Im selben Abschnitt spielte sich Mitte November, noch vor der Einkesselung, ein sehr interessanter Vorfall ab, von dem hier berichtet werden soll. Am Morgen des 19. November bemerkte Oberleutnant Duplenko, Kommandeur des 2. Bataillons, 197. Schützenregiment, 99. Division, dass ein Soldat aus dem deutschen Schützengraben kletterte und fluchend sein Gewehr mit dem Bajonett in den Boden rammte. Nach einiger Zeit kletterten zwei weitere Soldaten heraus und machten dasselbe. Da zeigte Duplenko sich und rief ihnen zu: »Fritzen, kommt her!« Die Deutschen gingen ein Stück, 40 Meter vielleicht, und blieben stehen. Duplenko ging ihnen mit zwei MPi-Schützen entgegen. Erreichte sie. Die Deutschen boten Zigaretten an. Er nahm eine, und ein Gespräch in Gesten begann. Dann hakte er beide unter und ging in Richtung unserer Schützengräben. Die Deutschen gingen etwa 20 Meter. Da kam aus den deutschen Gräben offenbar ein Feldwebel oder Unteroffizier und rief ihnen etwas zu. Sie machten ihre Arme frei, sagten: »Russe, Nacht …« und gingen fort. Duplenko ging auch fort, niemand hatte einen Schuss abgegeben. In der Nacht wurden Maßnahmen getroffen. Der Aufklärungschef vom Regiment und Oberleutnant Makarow, der Ausbilder für die Arbeit innerhalb feindlicher Truppen, legten sich in den Hinterhalt und erwarteten die Deutschen. Infolge der Möglichkeit einer Provokation lagen dort 20 Aufklärer und MPi-Schützen. In der Nacht passierte das, was man am wenigstens erwartet hatte. Die Deutschen gingen nicht direkt die Front entlang – das Ganze spielte sich an der Wolga ab –, sondern klettern zum Fluss hinunter und stiegen dann wieder hoch. Sie hatten keine Waffen bei sich. Unser Posten reichte dem ersten Deutschen die Hand, und der kam nach oben. In dem Moment gab der Politstellvertreter der Aufklärungskompanie Schewtschenko den Befehl zu feuern. Es hieß, sie hätten geschlafen, seien aufgewacht, hätten die Deutschen gesehen und einen Schreck gekriegt, und die Deutschen seien zurückgelaufen. Am Morgen fand man elf Brotbeutel, Decken und ihre ganze Habe. […]
    Während unserer Angriffe im Oktober erlitten die Deutschen immens hohe Verluste. Das wird sowohl durch Angaben von Kriegsgefangenen als auch durch einige Dokumente, die uns zur Verfügung stehen, bestätigt. So berichtete der am 20. Oktober gefangen genommene Schütze Johann Schmitz, 8. Kompanie, 8. Schützenregiment (mot.), 3. Division, das 8. Regiment habe am 18., 19. und 20. Oktober sehr große Verluste erlitten, vor allem in der Artillerie. Nach den Angaben von Schmitz,

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