Die Stalingrad-Protokolle: Sowjetische Augenzeugen berichten aus der Schlacht (German Edition)
nach zweistündigem Ansturm rauf und runter, fanden wir einen Durchschlupf. Alle Fahrzeuge, in denen Treibstoff war, sind zerstört.
22. November. Sechs Uhr früh. Endlich ist die Straße wieder frei. Wir können es wagen zu fahren. Die Straße ist von Pferdekadavern bedeckt, die die Rumänen zurückgelassen haben. Fast alle Tiere sind erfroren. Überall stehen Geschütze herum, Fahrzeuge, Munition liegt da, alles, was die Verbände mithatten. Nachdem wir dreimal beschossen worden waren, kamen wir zur Don-Fähre. Um 13 Uhr waren wir glücklich in Karpowka angekommen, aber hier drängen die Russen von Süden her.«
Der Ende November gefallene Obergefreite Horeski [?] drückte sich in seinem Tagebuch ein wenig knapper aus.
»23. November. Flucht vor den Russen von einem Ort zum anderen.
26. November. Die Russen haben die Front durchbrochen, wir fahren weiter.
27. November. Halt in einer Steppenschlucht. Erneut Bau von Unterständen.
28. November. Unterstände fast fertig, aber morgens fahren wir weiter. Scheiße das alles.
1. Dezember. Wir sind immer noch umzingelt. Mit der Verpflegung ist es mau, die Nachschubwege sind abgeschnitten.
2. Dezember. Wir bekommen keine Post und können keine schicken. Hoffen wir mal, dass wir den Sack zerreißen können.«
Die Deutschen haben, wie ich schon sagte, Technik und Vorräte zerstört. Das bestätigt in seiner Aussage auch der Kriegsgefangene Rudolf Bormann, Unteroffizier der 4. Kompanie, 267. Regiment, 94. Infanteriedivision. In der Gegend von Orlowka wurde ein Riesenlager Uniformen und Proviant verbrannt. Es wurden Verpflegungsvorräte vernichtet, die für Weihnachten vorgesehen waren, darunter viel Wein. Einen Teil des Weins tranken die Offiziere allerdings, aber was sie nicht trinken konnten, wurde vernichtet.
Im Tagebuch von Heinz Werner, Gefreiter der 24. Panzerdivision, der zur Zeit der Kapitulation gefangen genommen wurde, findet sich folgender Eintrag:
»22. November. Auf dem Flugplatz wegen fehlenden Benzins 20 Flugzeuge gesprengt.
23. November. Morgens einen Großteil der Fahrzeuge und Panzer gesprengt.«
Die Deutschen zappelten in den ersten Tagen des Kessels buchstäblich wie die Ratten im Sack. Küchenbullen, Schreiber, sogar Leichtverwundete und Kranke aus dem Lazarett in Kalatsch wurden an die vorderste Linie geworfen. Soldaten der 1. Kavallerie der rumänischen Division, die nach der Niederlage auseinandergelaufen waren und sich in der Umzingelung wiederfanden, wurden erfasst und zu drei bis fünf Mann pro Kompanie in deutsche Verbände gesteckt. Unter den Gefangenen fanden sich Schreiber, Küchenbullen und andere nicht zur kämpfenden Truppe gehörende Personen. Der Conférencier eines großen Berliner Varietés fiel uns in die Hände. Er sagte: »Wissen Sie, Herr Hauptmann, ich war noch nie in einer so komischen Situation wie hier bei Ihnen.«
Doch Anfang Dezember gelang es der deutschen Führung, Panik und Kopflosigkeit zu liquidieren. Von General Paulus kam ein Befehl, der besagte, die Aufgabe der Armee bestehe darin, Stalingrad um jeden Preis zu halten, da die Stadt eine entscheidende Bedeutung für den Ausgang des Krieges habe. Der Befehl endete mit den Worten: »Drum haltet aus, der Führer haut uns raus!« In diesem Befehl wurde auch Hitlers Aufruf zitiert, der im pseudonapoleonischen Stil verfasst war: »Kameraden, ihr seid eingeschlossen und umzingelt. Das ist nicht eure Schuld. Ich setze alle Hebel in Bewegung, um euch aus eurer Lage zu befreien, denn der Kampf um Stalingrad hat seinen Höhepunkt erreicht. Hinter euch liegen schwere Tage, vor euch noch schwerere. Ihr müsst eure Stellungen verteidigen bis zum letzten Mann. Von Rückzug kann keine Rede sein. Wer seinen Platz verlässt, den trifft die ganze Härte des Gesetzes.« [727]
Auf diese Weise gelang es den Deutschen Anfang Dezember, einen Verteidigungsring aufzubauen und eine relative Ordnung herzustellen.
Ich komme zur Frage der Kriegsverbrechen. Am 26. November wurde mir aufgetragen, zur Stellung der 99. Division in der Gegend von Akatowka–Winnowka–Rynok zu fahren, um die Propaganda unter den gegnerischen Truppen zu organisieren und um Gräueltaten zu dokumentieren. Dazu muss gesagt werden, dass hier am 1. und 2. November einige Verbände der 300. Division vom linken Wolgaufer aus gelandet waren. [728] Das Schicksal dieser Landetruppen war schlimm. Einige ertranken in der Wolga, einige erreichten das Ufer, wurden jedoch teils getötet, teils
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