Die standhafte Witwe
Zustands, und wie in Trance ging sie den Rest des Weges bis nach Hause.
Auggie fing sie mitten auf dem Platz ab. »Ich werde heute abend zum Essen da sein«, sagte er. »Dann werde ich deinem Mann erzählen …«
Er verstummte, als er ihr Gesicht sah. »Warum grinst du denn, als hättest du gerade einen Topf voller Gold gefunden, Kind?«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich sag’s dir heute abend«, versprach sie. »Es ist ein großartiger Tag, nicht wahr, Auggie? Obwohl das Wetter ja ein bißchen kühler als gewöhnlich ist.«
Auggie wollte ihr gerne sagen, daß das Wetter tatsächlich ungewöhnlich mild für den frühen Herbst war, denn Keith hatte ihm erzählt, daß seine Herrin glaubte, in den Highlands wäre es das ganze Jahr warm. Auggie wollte nicht, daß sich die Soldaten hinter ihrem Rücken über ihre Naivität lustig machten, aber Johanna rauschte schon mit glücklichem Gesicht an ihm vorbei. Er würde ihr die Wahrheit also später erklären müssen.
Johanna setzte sich zu Alex an den Tisch, als er seine Mahlzeit einnahm. Er war zu jung, um auf die Männer zu warten. Dann schickte sie ihn in die Küche um Hände und Gesicht zu waschen.
Als sie sich an den Kamin setzte, kam Dumfries in die große Halle gestromert. Sie klopfte ihm freundlich das Fell, und er ließ sich geräuschvoll neben ihren Stuhl fallen und legte den Kopf auf ihre Schuhe.
Alex kam kurz darauf zurück. Er hatte immer noch Soße im Gesicht, und Johanna säuberte ihn mit einem feuchten Tuch. Dann wollte er unbedingt auch auf ihrem Stuhl sitzen, und sie rückte zur Seite, damit er Platz hatte.
»Möchtest du hier bei deinem Vater und mir bleiben, oder würdest du deine Verwandten vermissen, Alex?«
»Ich will hierbleiben«, antwortete er. Er gähnte herzhaft und kuschelte sich an sie.
»Das möchte ich auch«, flüsterte Johanna.
»Papa sagt, ich fehle dir.«
»Das stimmt, du fehlst mir.«
Alex’ Brust schwoll. »Hast du auch wie ein Baby geheult, weil ich dir gefehlt hab’?«
Sie mußte über seine Wortwahl lächeln. »Das habe ich«, schwindelte sie. »Soll ich dir noch eine Geschichte erzählen, bevor du schlafen gehst?«
Der Junge nickte. »Was ist das für eine Geschichte? Von Auggie?«
»Nein«, sagte sie. »Meine Mutter hat sie mir erzählt, als ich ein kleines Mädchen war. Und als ich heranwuchs, lernte ich lesen und …«
»Wieso?«
»Wieso was?«
»Wieso hast du lesen gelernt?«
Sie sah aufmerksam in Alex’ Gesicht, das er ihr zugewandt hatte, und bemerkte daher nicht, daß ihr Mann in die Halle gekommen war. Er stand oben auf der Treppe und wartete darauf, daß einer von beiden seine Anwesenheit zur Kenntnis nahm.
»Weil es verboten war«, antwortete sie. »Man hat mir gesagt, daß ich zu dumm zum Lesen wäre, und eine ganze Zeit habe ich den Unsinn geglaubt. Dann kam meine Selbstachtung zurück, und ich fand, daß ich mindestens genauso klug wie jeder andere war. Da habe ich nämlich lesen gelernt, Alex, und wenn du älter bist, bringe ich es dir bei.«
Alex fummelte an ihrem Plaid herum, während er ihr zuhörte. Plötzlich gähnte er so sehr, daß sie sein Zäpfchen sehen konnte. Sie wies ihn an, die Hand vor den Mund zu halten und begann dann, ihm ihre Lieblingsgeschichte aus der Kindheit zu erzählen.
Alex schließ knapp eine Minute später tief und fest. Sein Kopf plumpste auf ihre Brust. Johanna war so glücklich, den Kleinen im Arm zu halten, daß sie die Augen schloß, um ein Dankgebet zu sprechen. Dann schlief sie genauso schnell ein wie Alex.
Gabriel konnte sich nicht entscheiden, wen er zuerst hinauftragen sollte. Calum kam ihm zu Hilfe und nahm Alex. »Wo soll ich ihn denn hinlegen, MacBain?« flüsterte er, um den Jungen nicht aufzuwecken.
Gabriel hatte keine Ahnung. Clare lag in der zweiten Kammer, also hatte sein Sohn keinen Platz dort.
Aber er wollte auch nicht, daß Alex bei den Soldaten schlief. Das Kind brauchte die Nähe seiner Mutter und seines Vaters, falls er im Laufe der Nacht Angst bekam oder nicht mehr wußte, wo er war.
»Bring ihn erst mal in mein Bett«, sagte Gabriel. »Ich überlege mir vor heute nacht noch etwas.«
Er wartete, bis Calum mit dem Jungen oben war. Als er gerade seine Frau auf die Arme nehmen wollte, öffnete sie die Augen.
»Gabriel«, sagte sie fast verwundert. Es klang wie eine Liebkosung.
»Hast du vielleicht von mir geträumt?« Eigentlich wollte er sie aufziehen, aber seine Stimme war rauh vor Gefühl. Verdammt, er liebte diese Frau einfach. Und er
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