Die standhafte Witwe
Stirn. Johanna glaubte, daß er ihr Haar ansah.
»Du bist verdammt blaß«, murmelte er.
»Und deswegen guckst du so böse, M’lord?«
Er nickte. Sie kniff sich in die Wangen, um Farbe hineinzubekommen, und fragte: »Hast du sonst noch etwas bemerkt?«
»Clares Vater ist auf dem Hügelkamm ausgemacht worden.«
Sie vergaß sofort, daß sie ihm ein Kompliment über ihre neue Frisur abringen wollte.
»Ich will, daß du mit Alex im Zimmer bleibst, bis der Clansherr und seine Männer wieder weg sind.«
»Wie viele Soldaten hat er denn dabei?«
Er zuckte die Schultern. »Genug.«
Gabriel wandte sich schon ab, als sie den Kopf schüttelte. »Ich will mit Clares Vater reden«, verkündete sie.
»Er wird kaum in der Stimmung sein, sich höflich zu geben, Johanna. Tu, was ich dir sage.«
»Der Clansherr ist wütend auf die MacInnes, nicht auf uns«, rief sie ihm in Erinnerung.
»Nay«, entgegnete er. »Sein Zorn richtet sich direkt auf alle MacBains. Er gibt uns die Schuld für die Schande seiner Tochter.«
Die Farbe von Johannas Gesicht wechselte abrupt von Blaß zu Zornesrot. Sie fragte Gabriel nicht erst, woher er das wissen konnte. Wenn er sagte, MacKay gab ihnen die Schuld, dann mußte es wahr sein. Gabriel war kein Mensch, der ins Blaue hinein Schlüsse zog.
»Wer ist gerade bei Clare?«
»Hilda«, antwortete er. »Geh wieder rein. Ich will nicht, daß irgendein MacKay in deine Nähe kommt.«
Sie schwieg, so daß er annehmen konnte, sie würde seinem Befehl befolgen. Sie ging zurück in die Kammer und wartete, bis sie sicher war, daß Gabriel in der großen Halle auf Clares Vater wartete. Dann eilte sie durch den Flur zu Clares Kammer. Sie schickte Hilda zu Alex.
»Dein Vater wird in wenigen Augenblicken hier sein, Clare. Willst du allein mit ihm sprechen oder soll ich hierbleiben?«
Clare setzte sich mühsam im Bett auf, wobei sie ein leises Wimmern ausstieß. Johanna fragte sich, ob es an den Schmerzen lag oder an der Ankündigung, ihr Vater würde gleich hier sein. Es tat ihr im Herzen weh, die Angst in den Augen der Frau zu sehen.
»Bitte bleib«, sagte sie.
Johanna glättete die Decken, aber mehr, um ihre eigene Nervosität zu überbrücken, als um es Clare besonders bequem zu machen.
»Ich weiß nicht, was ich ihm sagen soll.«
»Erzähl ihm einfach, was geschehen ist«, riet Johanna.
Tränen füllten Clares Augen. »Das kann ich nicht«, rief sie.
Auf einmal traf Johanna die Wahrheit wie ein Schlag. Es war ein Segen, daß sie direkt neben dem Stuhl stand, so konnte sie sich setzen, bevor sie umfiel.
»Du verstehst nicht, Johanna.«
»O Gott, doch, ich glaube, ich verstehe. Du hast dir das alles ausgedacht, nicht wahr? Es gab keinen MacBain … du bist gar nicht schwanger …«
Clare begann zu weinen. Sie schüttelte den Kopf in dem Versuch, Johannas Anschuldigung abzustreiten. Aber die Furcht in ihren Augen strafte ihre Anstrengung, an ihrer Version festzuhalten, Lügen.
»Das ist nicht wahr«, protestierte sie.
»Nicht?« fragte Johanna. »Jedesmal, wenn dir einer von uns Fragen stellen wollte, hast du vorgegeben, erschöpft zu sein.«
»Das war ich doch auch«, verteidigte sie sich.
Johanna konnte Clares Panik spüren. Sie wollte sie trösten, tat es aber nicht. Statt dessen versuchte sie, die Qual der Frau zu ignorieren, denn sie mußte die Wahrheit herausfinden. Nur so konnte sie ihr helfen.
»Du hast dich ohnehin verraten.«
»Nein.«
»Du hast mir gesagt, daß du dich gefangen fühltest und dann etwas getan hast, was ohnehin rauskommen würde. Vorzugeben, daß man schwanger ist, kommt ganz sicher raus, nicht wahr? Hast du nicht darüber nachgedacht, daß es den Leuten auffällt, wenn du nicht dicker wirst?«
Clare schluchzte nun laut. »Ich habe überhaupt nicht nachgedacht«, gestand sie.
Johanna lehnte sich langsam im Stuhl zurück. »Was in Gottes Namen sollen wir jetzt tun?«
»Wir? Ich bin die einzige, die die Folgen tragen muß, wenn mein Vater die Wahrheit erfährt.«
»Warum hast du dir nur so ein Märchen ausgedacht?«
»Ich war verzweifelt«, sagte Clare. »Kannst du das denn nicht verstehen? Das Leben dort war so schrecklich. Jeden Tag wurde es schlimmer.«
»Ich verstehe sehr gut«, sagte Johanna. »Aber …«
Clare unterbrach sie. Sie wollte Johanna unbedingt ihre Gründe begreiflich machen, damit diese sie nicht verurteilte.
»Vater hat mich versuchsweise zu den MacInnes geschickt. Ich sollte den Sohn des Clansherrn sechs Monate später heiraten. Es
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