Die standhafte Witwe
dauerte nicht lange, bis ich feststellte, wie furchtbar sie alle sind. Wußtest du, daß MacInnes zwei ältere Töchter hat? Sie sind vor seinem kostbaren Sohn zur Welt gekommen.« Sie hielt kurz inne, fuhr dann aber fort: »Eine der Dienerinnen hat mir erzählt, daß MacInnes beide Male, als er erfuhr, er habe eine Tochter, seine arme Frau noch im Wochenbett verprügelt hat. Sie starb, nachdem sie ihm einen Sohn geschenkt hat. Wahrscheinlich freute sie sich über den Tod. Ich jedenfalls täte es, wenn ich mit so einem Ungeheuer verheiratet wäre.«
»Und der Sohn ist genau wie sein Vater, richtig?« Johanna kannte die Antwort schon. Sie hatte noch lebhaft in Erinnerung, wie der junge Mann mit geballten Fäusten über Clare stand.
»Er ist schlimmer«, sagte Clare. Ihre Stimme triefte vor Ekel. »Ich konnte den Gedanken nicht ertragen, ihn zu heiraten. Ich habe versucht, mit meinem Vater zu sprechen, aber er hat mich nicht angehört. Ich bin nach Hause gelaufen, aber …«
Clare konnte eine ganze Weile nicht weiterreden. Ihre Schluchzer kamen krampfartig, und Johanna fiel es unglaublich schwer, ihre eigene Fassung zu bewahren. Clare war nicht nur einem Ungeheuer ausgeliefert gewesen, sie war auch noch von ihrem Vater betrogen worden. Für Johanna war das unvorstellbar, denn ihr eigener Vater hätte Raulf umgebracht, wenn er gewußt hätte, wie er sie mißhandelte.
»Dein Vater hat dich wieder zum MacInnes-Clan zurückgebracht, nicht wahr, Clare?«
»Ja«, flüsterte sie. »Ich glaube, ich habe mich noch nie so verlassen gefühlt … oder so verzweifelt. Ein paar Tage später hörte ich ein paar Soldaten zu. Sie hatten Krieger die Grenze passieren sehen, die MacBain-Plaids trugen.«
»Und da hast du dir die Geschichte ausgedacht?«
Clare schüttelte den Kopf. »Die Soldaten wußten nicht, daß ich zuhörte. Als sie den Namen deines Mannes flüsterten, hörte ich die Angst in ihren Stimmen. Da beschloß ich, daß ich diese Krieger suchen mußte. Ich hatte keine Ahnung, was geschehen würde, wenn ich sie traf. Ich hatte keinen Plan, Johanna, ich wollte nur, daß mir jemand half.«
»Ja«, flüsterte Johanna tröstend und reichte Clare ein Leintuch, damit sie sich die Wangen trocknen konnte. »Ich hätte dasselbe getan.«
»Wirklich?«
»Ja.«
Die Überzeugung in Johannas Stimme ermutigte Clare. Johanna spürte das starke Band, das sich zwischen ihnen gefestigt hatte. Sie waren nun verbunden, denn die Erinnerungen an vergangene Alpträume einte sie gegen die Abscheulichkeiten, die ein paar gemeine, brutale Männer Frauen aufzwangen.
»Ich war schon einmal wegen Ungehorsam geschlagen worden«, fuhr Clare fort. »Und ich wußte, es würde wieder und wieder geschehen. Ich konnte die MacBain-Männer nicht finden, und als ich die Suche aufgab, wurde es bereits dunkel. Ich verbrachte die Nacht in einer verlassenen Hütte. Lieber Gott, ich hatte solche Angst. Ich fürchtete mich schrecklich, zum Clan zurückzukehren, aber auch, es nicht zu tun. Am nächsten Morgen fanden sie mich.« Clare klammerte sich so fest an Johannas Hand, daß es weh tat.
»Du fühltest dich so hilflos, richtig?«
»O ja«, antwortete Clare. »Dennoch war mir noch nichts eingefallen. Drei Monate waren verstrichen, als der Clansherr eines Morgens verkündete, er habe den Hochzeitstermin vorgezogen. Robert und ich sollten am folgenden Sonntag heiraten.«
Clares Stimme war vom Weinen und der Anstrengung heiser geworden. Johanna wollte aufstehen, um ihr Wasser zu holen, aber Clare ließ ihre Hand nicht los.
»Meine Lüge war nicht großartig geplant«, fuhr sie fort. »Ich sammelte allen Mut zusammen und sagte Robert, ich würde ihn niemals heiraten. Er fing an zu toben. Er ist sehr besitzergreifend und eifersüchtig. Ich wußte, er würde mich nicht mehr wollen, wenn er hörte, daß ich mich einem anderen Mann hingegeben habe. Mir fielen wieder die MacBain-Soldaten ein, die über die Grenze gezogen waren, und auch das furchtsame Flüstern der MacInnes-Männer. So belog ich ihn. Ich weiß, daß es falsch war, und es tut mir leid, daß ich dich belogen habe. Du bist so lieb zu mir gewesen, Johanna. Hilda hat mir erzählt, was du mit Robert gemacht hast, und ich wünschte, dein Pfeil hätte sein Herz durchbohrt. Himmel, ich hasse ihn so sehr. Ich hasse alle Männer, auch meinen Vater.«
»Du hast guten Grund, Robert zu hassen«, sagte Johanna, »aber mit der Zeit wirst du darüber hinwegkommen. Vielleicht gelingt es dir sogar, mit solchen
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