Die standhafte Witwe
sehen. Was eine schwierige Aufgabe war, weil seine Augen wirklich schön waren. Die Farbe war ein reines, klares Grau. Er hatte zudem hohe Wangenknochen und eine gerade, schmale Nase. Er war wirklich ein gutaussehender Mann, und obwohl sie versuchte, es zu ignorieren, hatte ihr Herzschlag sich durch seine Nähe bereits beschleunigt. Sein Duft zog sie an. Er roch sauber und männlich. Sein Haar war feucht. Offenbar hatte auch er ein Bad genommen, bevor er ins Bett kam.
Sie ärgerte sich, daß sie das begrüßte. Wieso konnte sie ihre undisziplinierten Gedanken nur nicht im Griff haben? Wie er aussah oder roch, sollte sie nun wirklich nicht interessieren.
»Meinst du, du kannst mir die Frage noch vor Sonnenaufgang beantworten?«
Erst jetzt fiel ihr die Frage wieder ein. »Ja, ich war drei Jahre verheiratet.«
»Wieso kannst du mich dann fragen, ob ich mit dir schlafen will?«
Sie verstand seine Verwirrung nicht. »Zu welchem Zweck kannst du es denn wollen? Ich kann dir keine Kinder gebären.«
»Das sagtest du bereits«, fauchte er. »Es gibt noch andere Gründe, warum ich mit dir schlafen will.«
»Was für Gründe?« fragte sie mißtrauisch.
»Man kann auch Spaß am ehelichen Vollzug haben. Hast du das denn noch nie erlebt?«
»Von Spaß weiß ich nichts, M’lord, aber mit Enttäuschung kenne ich mich sehr gut aus.«,
»Glaubst du, ich könnte enttäuscht sein, oder fürchtest du, du wärst es?«
»Wir beide werden es sein«, sagte sie. »Und du wirst dann nur wütend werden. Also ist es besser, wenn du mich in Ruhe läßt!«
Er dachte nicht daran, diesem Vorschlag zu entsprechen. Sie benahm sich, als hätte sie dies alles schon oft genug durchdacht, und er brauchte nicht zu fragen, wie sie zu solchen Ansichten gekommen war. Es war offensichtlich, daß sie von ihrem ersten Mann furchtbar behandelt worden war. Sie war so verdammt unschuldig und verletzlich. Wie schade, dachte er, daß Baron Raulf tot ist. Er hätte ihn mit Vergnügen selbst umgebracht.
Er konnte ihr die Vergangenheit aber nicht nehmen. Alles, was er tun konnte, war, sich auf ihre gemeinsame Zukunft und auf das Jetzt zu konzentrieren. Er beugte sich zu ihr und küßte ihre Stirn. Wenigstens zuckte sie nicht zusammen und wandte sich auch nicht ab.
»Heute nacht wirst du zum ersten Mal –«
Er hatte sagen wollen, daß sie zum ersten Mal zusammen sein würden, und daß es ein neuer Anfang für beide sein würde, aber Johanna unterbrach ihn. »Ich bin keine Jungfrau mehr, M’lord. Baron Raulf kam im ersten Jahr unserer Ehe oft in mein Bett.«
Diese Bemerkung machte ihn neugierig. Er lehnte sich zurück, um sie anzusehen. »Und nach dem ersten Jahr?«
»Da ging er zu anderen Frauen. Ich hatte ihn im höchsten Maße enttäuscht. Hast du nicht auch andere Frauen, zu denen du gehen kannst?«
Sie schien ganz begeistert von dieser Möglichkeit. Er wußte nicht, ob er beleidigt oder amüsiert sein sollte. Die meisten Frauen wünschten sich nicht, ihren Ehemann teilen zu müssen. Johanna dagegen sah so aus, als würde sie losrennen und eine Geliebte für ihn rekrutieren wollen.
»Ich will keine andere Frau.«
»Warum nicht?«
Sie schaffte es, ihn entrüstet anzusehen. Gabriel hatte enorme Schwierigkeiten zu glauben, daß diese seltsame Unterhaltung wirklich stattfand. Er grinste und schüttelte den Kopf. »Ich will dich«, sagte er beharrlich.
Sie stieß einen Seufzer aus. »Ich nehme an, das ist dein Recht.«
»Genau.«
Er zog die Decken fort. Sie zerrte sie wieder an die richtigen Stellen. »Nur einen Moment noch, bitte«, bat sie. »Ich möchte dir noch eine wichtige Frage stellen, bevor du beginnst.«
Er runzelte die Stirn, doch sie heftete den Blick an sein Kinn, damit er in ihren Augen nicht lesen konnte, wie nervös sie wurde, während sie auf seine Zustimmung oder Ablehnung wartete.
»Stell deine Frage.«
»Was passiert, wenn du doch enttäuscht bist?« Sie wagte einen kurzen Blick in seine Augen und fügte dann hastig hinzu: »Ich würde mich gerne darauf vorbereiten.«
»Ich werde nicht enttäuscht sein.«
Sie sah ihn an, als würde sie ihm nicht glauben.
»Und was, wenn doch?« bohrte sie.
Er versuchte, die Geduld zu bewahren. »Dann werde ich niemand anderem außer mir selbst die Schuld geben müssen.«
Sie starrte ihn eine lange Minute an, bevor sie ihren eisernen Griff um die Decke löste. Er sah zu, wie sie die Hände auf ihrem Bauch faltete und die Augen schloß. Der Ausdruck der ergebenen Resignation auf ihrem
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