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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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bulgarischen Rotwein, Eisbecher »Neptun«. Gemessen an der entbehrungsreichen Normalität, lief das auf Schlemmerei hinaus. Das war übrigens eine der letzten Fuhren von Kapitän Arno Steinau. Der ging kurz darauf in Göteborg »zur falschen Tür hin aus«, haute ab, ward nie mehr gesehen.
    Hatte Ulbrichts Losung nicht geheißen: »Vorwärts, Genossen, zum Weltniveau«? Frei nach der Devise genoss die geschlossene Schiffsgesellschaft bürgerliches Wohlleben. Zwar hing statt des Konterfeis von König Gustav Adolf VI. nun Honeckers Bild im Treppenaufgang zum Verandacafé. Aber elementarer Kapitalismus zeigte sich ästhetisch in Mahagoni und glitzerndem Metall; der diskrete Charme der Bourgeoisie bestach durch den für 1,3 Millionen Mark mitgekauften Hausrat der
Stockholm.
Beim Dinner dominierte Sonntagsstaat. Die Stewards kellnerten in Jacken mit Schulterklappen. Im wohltemperierten Saal aß man mit Tafel silber, achtete auf Etikette, verbot Badekleidung, kurze Hosen in Gesellschafts- und Speiseräumen. Kapitän Peters machte in blauer, kakifarbener oder weißer Uniform die Honneurs. Die Ausstaffierung kostete ihn zwanzig Mark Kleidergeld monatlich, vierzig Biere in Seemannswährung.
    Von wegen »stolz und kühn die Farben der DDR vertreten«. So weit das Auge reichte, Konsum und Konvention statt linkem Avantgardismus. Friseursalons verwöhnten Kunden im Vorschiff. Frei- und Hallenbad, Milch- und Nachtbar standen zur Verfügung. Im Café lockte »Bingo«, Einsatz zwei Mark für drei Runden. Der VEB Progreß-Film-Vertrieb ließ täglich neue Streifen über die Leinwand flimmern. Alain Delon kam auf Breitwand als Monsieur Klein.
Zorro
lief, nicht zu vergessen
Dr. med. Sommer,
Teil II. Das Leipziger Tanzorchester Fips Fleischer, die Kapelle Herbert Balzer, die Vier Brummers baten zum
Tango um Mitternacht.
Die übliche Übertreibung. Ab 22.30 Uhr herrschte Bordruhe.
    Nur das Saure war sozialistisch. Im Hauptdeck residierte der Politoffizier, PO, die Augen und Ohren der »Kreisleitung Flotte« der SED. Die Linienpolizisten wechselten, verbreiteten aber immer den strengen Geruch von Ideologie, oft von Alkohol. Wer bei den Scharfmachern in Ungnade fiel, verlor den »Sichtvermerk« im Seefahrtsbuch, den erlösenden Stempel für Auslandsreisen. Piefig organisiert auch der ganz normale Betrieb. Die Apparatschiks gingen ins Detail, geboten schon an Land: »An Bord herrscht Rechtsverkehr.« Das Morgenritual in unerschöpflich-aufgesetzter Fröhlichkeit: »Reise, Reise, alles aufstehn auf dem Schiff / Ein jeder weckt den Nebenmann / der letzte stößt sich selber an.« Akkurat vermeldet gleich Erfolgsziffern die Daten von Essen und Trinken samt Kalorienzahl: 170 000 Flaschen Radeberger Pils seien vor der Saison gebunkert worden. 175 Tonnen Proviant habe man dabei. 140 Brote, zweitausend Brötchen würden täglich gebacken, 170 Kilo Fleisch und vierzig Tonnen Sprit verbraucht. Die von dem Schriftsteller und FDGB-Preisträger Jürgen Lenz geführte Bibliothek habe dreitausend Bände. Staatsratsmitglied Otto Gotsche tobte trotzdem, seine Schwarte
Unser kleiner Trompeter
fehlte im Bestand. Auf dem Programm Solidaritätskonzerte mit Kollekte »Für das blutende Afrika« oder bunte Unterhaltungsabende »Rund um den Siebenjahresplan« mit dem kühnen Bogen »Atomenergie, Petrochemie, Urlauberschiffe«. Spezifischer DDR-Faktor die Einstimmung für den Trip in die »Heldenstadt Leningrad«, verschärft mit Lichtbildervortrag. Das war SED pur, nur feuchter, salziger und, je nach Route, tropischer. Trotzdem kam die interne Kritik, Gemeinschaftsleben und politisch-ideologische Arbeit müssten »außerordentlich verbessert werden«. Zwischen den Gezeiten verstärkte die krause Mischung das ausgeprägte Erlebnis zweier Welten: Die Touristen stießen erst recht nachhaltig an die Grenzen ihrer Sehnsüchte. Vielleicht drückte das Überseeschiff sowieso von Anfang an die Botschaft aus, in jedem Funktionär stecke irgendwo ein verkappter Geldsack, allzeit bereit, sich bedienen zu lassen.
    Beispiel DDR-Sportchef Manfred Ewald. Das ZK-Mitglied nahm laut Statistik allein 1976 den Dampfer 29 Tage für seine Stars in Beschlag. Sofort stieg der Verpflegungssatz von sechs auf zwanzig Mark. Ewald residierte immer fürstlich in der Staatsratskabine im Oberdeck, Steuerbord achtern, dem früheren Musikzimmer. Kapitän Peters navigierte eine dieser »Auszeichnungsreisen« nach Leningrad: »Ewald und Staatssekretär Erbach soffen meinen Whisky weg.« Mit auf

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