Die Stasi Lebt
»feierlich« den Vaterländischen Verdienstorden verliehen, dazu gab es 1000 Mark und ein Grillfest mit Wolf. Charly war Kuron von Anfang an nicht geheuer. Er habe 1983 beim Konspirieren im tunesischen Hammamet »mit dem Geld um sich geworfen«, »volltrunken allgemeine Aufmerksamkeit erregt«. Umgekehrt mochte Charly den Kuron »nie leiden«. Womöglich erkannten sich die beiden gegenseitig.
Wie Charly die Seiten wechselte? Ganz einfach. Ein Journalist führte ihn beim Italiener an der U-Bahn-Station in Moabit dem Verfassungsschutz zu. Großmann erbat Bedenkzeit. Meist holte das LfV ihn dann unauffällig zu Hause ab, chauffierte ihn im Audi zur konspirativen Schöneberger Wohnung, mal in die Dependance Potsdamer Straße. Sein Dackel kam immer mit. Die Jungs erkannten den Rang des »Kardinals«, wollten in Köln gern echtes Honorar für ihn herausschlagen, weil er andere Abtrünnige »um Längen« übertraf. Es ging Schlag auf Schlag. »Maurer« und »Gräber«, HVA-Agenten beim Verfassungsschutz in Hessen und Niedersachsen, wurden enttarnt. Beim zweiten Mal sei Charly mit dem Namen Kuron herausgerückt. Eilmeldung ans BfV: »Es geht um eine zentrale Figur von Euch!«
Die neue Zeit hatte Großmann in prekärer Lage eingeholt. Mit 58 war er zum 31.12.1987 in Rente geschickt worden. »Sofort!« kritzelte Erich Mielke an den »Streng Geheimen« Vorgang. Zum Abschied gab’s 600 Ostmark »einschließlich 40 Mark Blumengeld«. Zuvor hatte man Charly entmachtet, die totale Demontage mit dem Titel »Offizier für Sonderaufgaben« kaschiert. Sein Job beschränkte sich auf die Betreuung des 1985 in die DDR übergelaufenen BfV-Abwehrexperten Jochen Tiedge. Der heiratete drüben seine »nette, charmante Brigitte«. Die hatte ihm Charly zugeführt, brachte es aber nie übers Herz, den Coup auch Tiedge direkt zu offenbaren.
Großmanns Leben war das Agentenspiel. Das Stasi-Urgestein haderte mit seinem unrühmlichen Karriereende, fühlte sich gedemütigt und abgeschoben. 1989 griff ihn die Staatsanwaltschaft Templin, Vorwurf: »Verbringung von Stasi-Unterlagen«. Es braucht nicht viel, damit er sich an dem Punkt in Rage redet. Er suchte die Hilfe von Kollegen: »Die haben sich von mir abgeschottet.« Am 13. Mai 1988 legte die Abteilung »Kader und Schulung« den Vorgang »Carlo/Niva« an. Darin steht, der Oberst sei seit September 1986 »unter operativer Kontrolle gehalten« worden. Die Ermittler staunten über Autos (Lada Niva, Golf, Passat), die ihm, gemäß Akte, drei West-IMs schenkten. Man hörte ihn ab, argwöhnte über seine Einnahmen. »Soll über ein Sparguthaben in Höhe von 250 000 Mark verfügen.« Charly erregt sich noch heute über so viel Dilettantismus: »130 000 Mark hatte ich, die hätten bloß auf mein Konto gucken müssen.« Man unterstellte, er führe »spekulative Handlungen für sich und andere zur persönlichen Bereicherung durch«, unter anderem finanziere er im Bezirk Neubrandenburg den Bau einer Jagdhütte. Das Disziplinarverfahren endete mit der Auflage, die Verhältnisse »zu ordnen«, sein »gesamtes Freizeitverhalten zu überprüfen«.Dass man ihn mit Befehl 545 nur verwarnte und nicht aus dem Verkehr zog, war die letzte Referenz an seine tschekistische Klasse.
Die Aufpasser des berüchtigten Generalmajors Günter Möller begriffen nicht: Wie bei Romanhelden von Graham Greene gehörten paradoxe Leidenschaft für Konspiration, gewisse Kaltblütigkeit und Lässigkeit des Spielers zusammen. Grad so, als ob beim Tarnen und Täuschen das wahre Leben zu kurz käme, ausgeglichen werden müsste. Nach 32 Dienstjahren degradierten die Häscher einen ihrer Besten wegen »charakterlicher Eigenschaften wie Überheblichkeit, Schwatzhaftigkeit und Prahlsucht sowie … unmoralischem Lebenswandel« zum »Sicherheitsrisiko«. Beim Anbaggern trafen die Wessis auf einen Zermürbten. Nach der Demütigung durch den Apparat war Großmann in überaus komplexer Gefühlssituation eine leichte Beute. Ungerührt registrierte die Stasi: »Aufgrund der durch ihn selbst nicht als lösbar erscheinenden persönlichen sowie dienstlichen Probleme beschäftigt er sich mit suizidalen Absichten.« Indem er auspackte, löschte er seine Existenz auf andere Weise aus. Rachegelüste waren immer ein starkes Verratsmotiv. Charly spricht von »Verbitterung«, »resignative Erhebung« nennen es Fachleute. »Für mich war eine Welt zusammengebrochen.«
Per Übersprungshandlung floh er in die neue und wandelte sich dem Hauptgegner an. Am
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