Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
Vom Netzwerk:
Forschungsarbeit als Anleitung zum perfekten Mord benutzt werden konnte.«
    Der nunmehrige Anwalt Stelzer fauchte zunächst am Telefon: »Die Sache hängt mir allmählich zum Hals raus.« Das sei kein Thema, »es ist absurd und lächerlich«. Sehr auf der Hut, kommt er zum Gespräch ins Restaurant »Eldorado«. Stelzer ist sich jederzeit bewusst, was allein schon die bloße Vermutung bedeutet, die DDR könne Oppositionelle auf besonders hinterhältige Weise erledigt haben, indem sie ihnen Zeitbomben implantierte. Kaum dass er sitzt, dies vorab: »Ich habe mir nichts Ehrenrühriges vorzuwerfen.« Mit fester Stimme, aber lauernd schließt der ehemalige Oberst einen Zusammenhang zwischen dem »Toxdat«-Dossier und dem Sterben von Fuchs »völlig aus. Ein grotesker Unsinn.« Die Studie sei »eine normale Forschungsarbeit, bestehend aus internationaler Literaturrecherche über Vergiftungsfälle sowie computergerechter Aufbereitung«. Zur Verdeutlichung: »Es ist also keine Anleitung zum Töten, sondern eine Anleitung zu kriminalistischer Untersuchung.« Er räumtein, jedes gerichtsmedizinische Lehrbuch könne auch eine Handlungsanweisung sein, wenn es missbraucht werde. Als sei das Thema damit erledigt, kommt er unvermittelt mit einer Rede Chruschtschows aus dem Jahre 1953. Das abschirmende Lächeln verrutscht ihm kurz, weil wir noch seine Gutachten für Prozesse »gegen Bürger der BRD und Westberlins« wegen »staatsfeindlichen Menschenhandels« erwähnen.
    Bis zum Tod des Autors am 9. Mai konnte »Magdalena«, Fuchs’ letztes Werk, als reine Literatur gelesen werden. »Betroffenheitsliteratur«, mäkelten einige Rezensenten. Die hatten mit der Collage aus Fakten und Fiktion Probleme und fanden, der von der DDR zum »Staatsfeind« gestempelte Literat arbeite in dichterischer Freiheit sein Verfolgungstrauma ab. Isolationshaft im Stasi-Knast Hohenschönhausen, 200 Verhöre von November 1976 bis August 1977 brannten ihm etwas Unauslöschbares in die Seele. Die Greifer rissen den damals 26-jährigen Psychologiestudenten aus dem Hochgefühl erster Erfolge. Es war die Zeit von Beat und Poesie, herrlich beschwingt, herrlich hoffnungsfroh, herrlich naiv – und von der Stasi beäugt.
    Robert Havemann saß in Fuchs’ Lesung, Lob kam von den schon berühmten Kollegen Günter Kunert, Reiner Kunze, Wolf Biermann; »hinterher war ich wie berauscht«. Umso härter der Kerkerschock für den Häftling »Nummer zwo«. Fuchs verwandelte die namenlose Bedrängnis in Epik, stellte in stakkatoartigem Stil rätselhafte Fragen wie diese: »Und ›Fototermin‹ im Knast? … Strahlen aus leisen Kanonen? Radioaktive Sächelchen im Essen, im Trinken? … Diese Möglichkeiten ausblenden, verdrängen? Wie denn?« Nun, da der Autor auf Feld D VII des Berliner Heidefriedhofs Alt-Mariendorf unter Buchen begraben liegt, scheint die Textstelle zu vielen nie geklärten Stasi-Komplexen zu passen.
    Spurensuche in Hohenschönhausen. Türme, Mauern, Stacheldraht, selbst bei Sonne ein Ort unergründlichen Dunkels, durch den die alten Dämonen geistern. Im Erdgeschoss Verwahrraum 117, wo der Autor einsaß. Sieben Schleusen, Tore, Gittertüren riegeln von der Außenwelt ab. 9,9 Quadratmeter Raum, ein schmaler Lüftungsschlitz, kein Fenster. Kältegefühl stellt sich ein. Schräg gegenüber auf dem Flur, dem rote, selbstbemalte Kugellampen etwas Frivoles geben, der Fotoraum: Kamera, Stuhl für den Häftling, Vorhänge mit Gardinchen, spießiges Interieur, mit Schallschutz verkleidete Doppeltüren. Was mag sich dahinter abgespielt haben? Als der kranke Fuchs mit einer hochdosigen Strahlentherapie ums Überleben kämpfte, fühlte er sich erschöpft und down wie einst nach den erkennungsdienstlichen Fototerminen. Festgeschnallt auf dem drehbaren Stuhl, musste er die Prozedur über sich ergehen lassen. Später meinte er, dort radioaktiv verseucht worden zu sein. Beweise dafür gibt es bisher nicht. Es sei denn, man nähme ein im Bau gefundenes Strahlenkunde-Lehrbuch als Fingerzeig. Doch betont Gedenkstättenleiterin Mechthild Günther: »Jürgen Fuchs ist ein glaubwürdiger Zeuge.«
    Seine »Gedächtnisprotokolle« (1977) referieren die bleierne Zeit im Zellentrakt. Dialog mit Vernehmern: »Der Kaffee ist für Sie./Nein danke.« Darauf die Antwort: »Trinken Sie nur, ist nichts drin, und wenn, ist es eine Erfindung des Klassenfeindes.« Die Szene erzählt davon, dass er im rechtsfreien Raum mit dem Allerschlimmsten rechnete. In Potsdam schildert uns sein Jenaer

Weitere Kostenlose Bücher