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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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Berichte von Stasi-Opfern.
    Hervorgegangen aus dem sowjetischen Speziallager 3, gilt die UHA 1 heute als Synonym für das DDR-Repressionssystem schlechthin. Das Besondere habe im ausgefeilten Modus von »Desorientierung, Isolierung und Ohnmacht« gelegen, den man gegenüber Häftlingen praktizierte, hielt das Berliner Abgeordnetenhaus fest. Ausgeliefertsein an den »allmächtigen Staatsapparat in der Person des Stasi-Vernehmers war die prägende Erfahrung«.
    Bürgerrechtler kamen rein, Bärbel Bohley, Ulrike Poppe, Freya Klier. In der Literatur steht das »Haus zur Ewigen Lampe« (Wolf Biermann) längst für den Versuch, Andersdenkende mit subtilen Mitteln des modernen Totalitarismus weichzuklopfen. Es gab Gummizellen und Freigang nur im »Tigerkäfig«. JürgenFuchs erfuhr am eigenen Leibe, wie Menschen »grausam, unmenschlich oder erniedrigend behandelt werden können, ohne dass ihnen ein Haar gekrümmt wird«. Die Stasi zielte auf »Zersetzung der Seele«.
    Fuchs notierte: »Wo ist das Fenster/wo ist denn das Fenster/das ist doch kein Fenster/zwei Reihen Glasziegel, dazwischen ein Spalt/und atmen, wie soll ich denn atmen/das könnt ihr doch nicht machen/doch, das können sie machen/das machen sie/und nicht nur mit dir/denk bloß nicht, nur mit dir/und denk bloß nicht, nur hier.«
    Die Brutalität kam im neuzeitlichen Gewand »operativer Psychologie« daher. In der klaustrophobischen Architektur nutzte man die Panik der von Ungewissheit Gequälten aus, zielte in raffiniert ersonnenem Wechsel zwischen Belohnung und Schikane, Himmel und Hölle auf ihre Würde. Ohne Kontakt zu ihren Angehörigen waren die zu Nummern Degradierten beliebig verfügbares Material der Stasi. Zur teuflisch-leisen Strategie gehörte, dass die Leidensgeschichte der Gebrannten in Freiheit fortdauert; die traumatische Erinnerung verfolgt viele bis in die Gegenwart.
    Eine bizarre Vorstellung, Rataizick nun als Verteidiger der UHA 1 agieren zu sehen. Er traut sich was. »Im Kollektiv« mit 25 MfSlern kehrte er inkognito sogar zur Besichtigung zurück. Schon die Tafel am Eingang brachte ihn in Rage: »Als Ort des Leidens und Sterbens verfolgter Menschen ist die Gedenkstätte Hohenschönhausen ein Zeugnis und Mahnmal gegen politische Unterdrückung«, heißt es da. Sein letzter Besuch endete im Eklat. Er und seine Gesinnungsgenossen gaben sich zu erkennen, wurden als »Stalinisten« beschimpft. Den Namen mag er nicht, wiewohl er just bei der Stasi einstieg, als der Diktator Kultfigur war und Rataizick laut Akte später seine Leute »zukompromisslosen Tschekisten« drillte. 1980 erhielt er ein »Ehrengeschenk des KfS der UdSSR, Armbanduhr 85 Rubel«. KfS war ihr Kürzel für den sowjetischen Geheimdienst KGB.
    Sein mit schallisolierten Doppeltüren ausstaffierter »Leiterbereich« ist derzeit eine Baustelle. Die Gardinchen im Vorzimmer hängen noch: Hier saß also seine Sekretärin, Dienstrang Leutnant mit Facharbeiterabschluss Phonostenotypistin, ferner »Grundkenntnissen im Umgang mit Waffen«. Es riecht nach gestern. An der Wand hängt ein Kalender des VEB Verlag Kunst, aufgeschlagen ist der Dezember 89. Narva-Neonröhren, Stückpreis 13,90 Mark, spendeten warmweißes Licht. Die Schrankwände mit Plastikfurnier blieben.
    In der biederen Büroflucht setzte er sein »Bestätigt, Rataizick Oberst« unter Anweisungen für »Kontrollpassierposten, KPP«, Bewaffnung »Pistole Makarow, 14 Patronen, MPI Kalaschnikow mit einem festgelegten Kampfsatz von 90 Patronen«. Kringelig unterzeichnete er »Geheime Verschlusssachen« für »die Gestaltung der Vorbereitungsarbeit auf Spannungsperioden«. Darin die verräterische Formulierung, sein Trupp sei »für die Entfaltung eines zentralen Isolierungsobjektes für das Territorium der Hauptstadt« verantwortlich und habe den Vollzug der Isolierungsmaßnahmen gegen dazu vorgesehene Personen zu gewährleisten. 139 Planstellen würden benötigt.
    Hatte er die Gipsbüste von Lenin oder Feliks Dzierzynski, dem gefürchteten Geheimdienstler, vor Augen, gestürzte Götzen, die heute im Depot des Justizsenators verstauben? Sah er auf den »Wandteppich Plüsch« mit dem Motto »30 Jahre DDR«, auf Heldengemälde mit Arbeitern? Was dachte er sich bei der Einlegearbeit mit der Parole »Glück, Frieden, Solidarität«, die aufbewahrt wird nebst »600 Sekt- und 800 Biergläsern«? Mehr als vieles andere bezeugt das Ambiente die Banalität des Bösen. Imspießigen Interieur war sich der Chef nicht zu fein, Menschen zu

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