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Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
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Bonzen nicht mehr unter sich. Neue Häuser wurden gebaut. Rataizick fragt beim Spaziergang ums Karree, wer sich die leisten könne. »Ostdeutsche sicher nicht. Ich mit meiner Strafrente sowieso nicht.« Hunderte von Rataizick-Sätzen hatte man studiert, eine von Verfolgungsphantasien durchtränkte Prosa aus der bisher kaum erhellten Dunkelzone Hohenschönhausens. Dann war man mit dem Obristen unweit des Knasts verabredet. Und was passierte? Ein Opi im Freizeitlook mit saloppem Lederwestchen und Seidenschal kam ums Eck. Auf dem Strickhemd stand »Headlands S«. Die Gesundheitsschuhe waren gewienert.
    Zum Gespräch im Café breitet er seine Utensilien aus. Eine Lederhülle mit Schreibblock, sichtlich aus DDR-Bestand, einen Kuli mit Namenszug. Er legt Artikel zum Thema hin, ganze Passagen sind rot angestrichen, Zettel mit Bemerkungen drangeheftet. Seine Schrift hält akkurat die Linie, wie 1959, als er sich mit feiner Feder der Stasi verpflichtete. Rataizick zündet sich eine »Davidoff mild« an. Jetzt kann’s losgehen »mit der Wahrheit, wie sie wirklich war«.
    Von sich erzählt er mit dem freudlos-bitteren Lächeln des Deklassierten.
    Ein höflicher, indes verdrossener Gesprächspartner, gelegentlich versteigt er sich zu einem drohenden Unterton. Rataizick hat etwas Lauerndes beim Sondieren, wie weit er mit seiner Schilderung kommt. Vielleicht ist das die von Vorgesetzten geschätzte »revolutionäre Wachsamkeit«. Einst schrieb man ihm dafür in Beurteilungen den »unerschütterlichen Klassenstandpunkt« gut: »weicht keinen kämpferischen Auseinandersetzungen aus!« Abrufbereites Gereiztsein und tiefsitzender Fanatismus lassen die Lippen schmal werden.
    Heftig fuchtelt er herum, sobald sich aufgestaute Wut über die neue Zeit entlädt. Mit der kommt einer wie Rataizick nicht klar, Prototyp des dressierten Mannes, wie die Stasi ihn sich im Land der Vergangenheit erschuf. In der offenen Gesellschaft verwandelte sich sein im Konspirativen wurzelndes Verständnis von Recht und Ordnung in einen üblen Leumund.
    Der 70-Jährige zählt zur eisernen Garde. Sein klares Feindbild hält das scheinbar unerschütterliche Ich intakt. Schuldgefühle? Von wegen. Es gebe, tönt er und klingt unheimlich, »weder Grund zur Reue noch Anlass«, sich »hinsichtlich der staatssichernden Tätigkeit dem Deutungsmonopol der damaligen DDR-Gegner zu unterwerfen«. Ähnlich Verbohrtes kennt man aus seiner Akte. 1986 warnte er intern, »im Rahmen der imperialistischen Menschenrechtsdemagogie« richteten sich die Angriffe »immer direkter gegen den Untersuchungshaftvollzug des MfS«. Damals wie heute ist Mielkes williger Helfer von seinem Laden begeistert. »Wir waren gut, wir kriegten den Kampforden.« Die »Hauptdelikte« der »8000 bis 10 000 Beschuldigten«, die er hat kommen und gehen sehen, seien »Grenzvergehen, Spionage, Terror gegen die Staatsgrenze, Fluchtversuche, Wirtschaftsverbrechen« gewesen.
    Übersetzt man ihren Begriff der »sozialistischen Gesetzlichkeit« in die Sprache der Demokratie, ging es durchweg ums Wegsperren Oppositioneller und Ausreisewilliger.
    Mit dem Einwand, die DDR-Justiz habe nach Partei-Maßgabe funktioniert und das Politbüro wichtige Urteile vorab ausgekungelt, muss man jemandem nicht kommen, der ungerührt von »sogenannter Wende«, »sogenannten Regimekritikern« giftet. Gefangener der Stasi-Ideologie, beharrt er auf der früheren Wahrnehmungswelt. »Als Sicherheits- und Rechtspflegeorgan waren wir darauf orientiert, die Errungenschaften unserer DDRzu schützen.« Basta. Dann reckt er gefährlich den Raubvogelkopf.
    Die Empörung zittert nach bei der Schilderung des 14. Januar 1990. »Binnen Stunden« musste er sein Büro räumen. Er, der den Dienst liebte, »ich möchte keinen Tag missen, würde es jederzeit wieder machen«. Vorher heimlicher Held an der inneren DDR-Front, fegte ihn die Wende einfach weg.
    Eine nie verjährende Demütigung für den Generalmajor in spe. Er fiel tief. Seine Abteilung wurde Objekt staatsanwaltlicher Ermittlungen, Zielscheibe von »Verleumdung«, wie er sagt. »Ausgegrenzt, disqualifiziert und kriminalisiert« habe man sie, klagt Rataizick und stilisiert sich quasi zum Opfer. Heute bekämpfter beinahe vollberuflich »diese Kampagne, diese Beschimpfungen bis zum Gehtnichtmehr. Ich habe solche Ordner zu Hause«, und zeigt mit den Händen die Höhe an. »In ausgesprochen negativer Weise« würden die Massenmedien berichten. Damit meint er wohl die immer wieder erschütternden

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