Die Stasi Lebt
Organe des Ministeriums des Inneren« in Gold. Ob er gescheitert sei, ein falsches Leben im falschen führte? Aber nein!
Der Verlierer der Geschichte fühlt sich ungebrochen dem Sozialismus verpflichtet. Tickt gar die »Herrenuhr IX. Parteitag« noch, 1976 für die »Aktion Meilenstein« überreicht, was immer das war? Er drückt sich nicht klar aus. Egal. Ihre Zeit ist abgelaufen. Das ist Fakt. »Klarer Fakt«, würde er sagen.
Der Advokat, der aus der Kälte kam
Wolfgang Vogel, Honeckers Mann fürs Menschliche
Über ihn lief der Freikauf von 35 000 politischen Häftlingen: Wolfgang Vogel war Honeckers Mann fürs Menschliche. Jetzt lebt er in Bayern.
Der ehemalige DDR-Unterhändler wartet schon an Gleis 2. Wolfgang Vogel steht im Bahnhof Schliersee, Brecherspitze und Jägerkamp hinter sich. Er trägt nicht die ortsübliche Miesbacher Tracht mit Hirschhornknöpfen, sondern Existenzialistenlook: schwarze Schuhe, schwarze Hose, schwarzes Strickhemd, ein gestreifter Kragen lugt hervor. Die bläulich getönte Brille gibt dem Ruheständler südliches Flair.
Am Telefon verblüffte zuvor sein Bedenken, »erkennen wir uns?«. Bis man beim Einlesen in die romanhafte Biographie merkt: auf den alten Schwarzweißfotos, die ihn berühmt machten, ist der Rechtsanwalt nur schemenhaft zu sehen. Um den Emissär zu identifizieren, muss man schon wissen, wer er war. Gute Frage. Wer war er, der Professor Dr. Wolfgang Vogel? Auf den Briefk opf druckte er in gediegener Schreibschrift die Ostberliner Kanzleiadresse Reiler Straße 4 mit dem Zusatz »Zugelassen auch bei den Gerichten in Westberlin«. Schon damit war der Advokat eine Rarität, die im Hintergrund agierende Schlüsselfigur beim Freikauf politischer Häftlinge durch Bonn, offiziell: »Bemühungen der Bundesregierungen im humanitären Bereich«. 35 000 Menschen aus DDR-Knästen kamen so über die Sammelstelle Karl-Marx-Stadt via Herleshausen in Freiheit.
»Raten Sie mal, wie oft ich dort war?« »Keine Ahnung.« »Rund gerechnet 1250 Mal«
Häufig chauffierte ihn seine Frau Helga zum Grenzübergang. Er hätte den Diplomatenpass D 14026 mit rotem Hammer, Zirkel. Ährenkranz nicht gebraucht, sein goldlackierter Mercedes war Ausweis genug. Der Star der klassenlosen Gesellschaft arbeitete sich vom Wartburg Coupé über Opel zum 280er Daimler hoch. »Champagnermetallic« sei übrigens der korrekte Begriff für die Wagenfarbe. Er versichert sich der Bezeichnung bei seiner Helga, »sie ist mein Gedächtnis«.
Kiek an, Honeckers Mann fürs Menschliche ist jetzt ein echter Bayer, verlegte den »vierten Lebensabschnitt« ausgerechnet ins CSU-Land. Im Gasthof »Am Prinzenweg« wird der Stammgast hofiert. Der Schlierseer beteuert mit vagem Lächeln, es bedeute ihm »jedes Mal eine Belastung, die Zeit für mich zurückzuholen. Das rührt mich auf.« Zum Teil mag es daher kommen, dass er sich bis zum Mauerfall als Erwählter fühlen durfte, gleichermaßen Vertrauter des »Genossen Staatsratsvorsitzenden« wie von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Er war ihr Meldegänger für Heikles. Mit seiner Eloquenz (auch in eigener Sache), seiner Schneidergarderobe stellte er das weltläufige Pendant zum ewigen Saarländer Erich dar. Fast hätte man fragen müssen, ob sich hinter der Stilisierung – Glashütte-Uhr am Kettchen, Einstecktuch – ein Geheimnis verbarg. Die Anmutung verriet seine Anspannung. Er lächelte sehr professionell, also mit innerer Berechnung beschäftigt. Womöglich kompensierte das allzu Schnieke den DDR-Minderwertigkeitskomplex.
Im Arbeitszimmer steht eine Büste Friedrichs des Großen, Genien tragen die Lampen. Der Hausherr plaziert sich im Sessel, wegen Augenproblemen die Leselupe griffbereit. Er ist 77, sagt jedoch »ich werde bald 80«, streicht »die Besinnung auf die Zeit«heraus. 100 Taschen- und Kaminuhren symbolisieren das Thema des Sammlers. Chronometer hätten für ihn »die Bedeutung des Rückblicks« aufs Verflossene, »ticken, leben, vermitteln«. Die Gedanken enden bei der Frage. »Wer könnte die Uhr getragen haben?« Zur Demonstration bringt er die Taschenzwiebel von Herbert Wehner. Witwe Greta schenkte sie ihm zum 70. Einmal jährlich, am 11. Juli zu dessen Geburtstag, ziehe er das ihm teure Stück auf.
Mit dem SPD-Politiker verband ihn eine intensive Beziehung, die keine Floskeln brauchte. »Er war mein Lehrmeister«, gewiss in Verschwiegenheit. Onkel Herbert konnte knurren: »Junger Mann, wir verhandeln hier nicht über Tomaten, sondern
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