Die Stasi Lebt
»Wehe, er hatte einen bei den Ohren«, berichten Untergebene.
Der Obrist befehligte 50 Hauptamtliche, pfiffige, an krimineller Phantasie reiche Kader. Dank ständiger Kontakte zum Klassenfeind moderner als der Rest von Mielkes grauen Eminenzen; beiBedarf stellte Majorin S. von der Kleiderkammer Westklamotten. Zur Tarnung tippten die »Zehner« ihre Machwerke auf IBM Kugelkopf-Schreibmaschinen statt auf ollen Optimas. Die »Zehn« gewann den FDP-Politiker William Borm als Einflussagenten, spielte einen Lockvogel an CDUler Heinrich Lummer her an, verschickte – besonders fies – angebliche Verhörprotokolle des von der RAF entführten Hanns-Martin Schleyer. Sie hielt sich bei »Bild« den »IM Alf«, ließ für die Zeitschrift »konkret« Offiziere wie Bohnsack dichten, speiste beim »Stern« scheinbar exklusive Dokumente ein, unterschob der »Süddeutschen Zeitung« ein raffiniert umfrisiertes Telefon-Abhörprotokoll von Strauß. Ein getürktes, anonymes CSU-Positionspapier war dermaßen clever gemacht, dass der »Spiegel« annahm, es stammte von Stoiber, und abdruckte. Wagenbreth und diverse Mitstreiter trugen stolz die Franz-Mehring-Ehrennadel des DDR-Journalistenverbandes, der, wie man heute weiß, die Urkunden blanko an die »Zehn« zum Ausfüllen abgab.
Die Abteilung »Desinformation« war supergeheim. So geheim, dass ihr Innenleben bis 1986 selbst in der HVA verschleiert wurde. Für alles, was unter Wagenbreth ersonnen wurde, galt im Scherz die Losung: »Vor dem Lesen zu vernichten«. Ihr Ziel: die Bundesrepublik, die Regierung, Parteien und Personen »bloßzustellen und zu diffamieren«. 1989 gab man allein an Operativgeldern 860 100 D-Mark aus, hatte 80 West-IM bevorzugt in Redaktionen an der Angel. Die Konspiration mit Journalisten erklärt, warum man so gut wie nie »Verpflichtungserklärungen« abverlangte.
Der mit Wallraff betraute »Vorgangsführer« Dornberger galt als »strammer, verlässlicher Kämpfer«. Beim Chef, Zimmer 430, ging er ein und aus. Weggefährten schildern, der Offizier sei kein großer Denker gewesen, aber bauernschlau. Der gelernteTischler war der SED ewig dankbar, empfand die Versetzung von Gera nach Ostberlin als »starke Berufung«, was seinen gewissen Fanatismus erklären könnte. Wallraff war laut Akte von einem IM aus dem Westen »getippt«, das heißt, zur Anwerbung empfohlen worden. An Wallraff machte Dornberger sich unter der Legende heran, der Mitarbeiter »Gebhard« vom »Presseamt beim Ministerrat« zu sein. Bei anderer Gelegenheit nannte er sich auch »Dorner«.
Über ihm thronte »Referatsleiter 3«, Rolf Rabe, Mitarbeiter 533 im internen Schriftverkehr, gleichfalls in das Projekt Wallraff eingebunden. Der Schlosser mit der unfrohen Strebermiene brachte es zum Diplom-Juristen, soll eine ziemliche Nervensäge gewesen sein. Gern sei Rabe zu operativen Aktionen ins Ausland mitgegangen, ohne, wie sich ein Leidtragender erinnert, »etwas beizusteuern«. Am liebsten habe er »Quick« und »Stern« gelesen, tagelang in starkem Mecklenburgerisch die Witze wiedergekäut.
Vom »Tagesspiegel« zu »IM Wagner« befragt, bescheidet der 67-Jährige militärisch knapp, Wallraff gelesen zu haben, »ja, sicher, wer hat das nicht« – und schweigt ansonsten: »Ich möchte nicht, will nicht, kann nicht.« So muss es wohl sein bei einem Eiferer, der nach polizeilicher Erkenntnis noch zwei seiner Westagenten dem KGB vermitteln wollte. Die letzte Vorstellung gab Rabe bei der Parteiversammlung im Februar 1990, Treffpunkt Wagenbreths bereits geräumtes Zimmer. Der Obrist habe tränenden Auges gejammert: »Hier stirbt der beste Geheimdienst der Welt. Genossen, der Kampf geht in den Wohngebieten weiter.« Rabe versuchte sich als Unternehmensberater, heute soll er Wachmann sein.
In das für Wallraff gesponnene Netz war mit Heinz Gundlach ferner der Kulturredakteur der Rostocker »Ostsee-Zeitung« eingebunden:»IM Friedhelm«. Führungsoffizier Dornberger beauftragte Gundlach 1971, »einen nachrichtendienstlichen Treff mit Wallraff in Kopenhagen durchzuführen«, fanden Sicherheitsbehörden heraus. Gundlach hatte an der Leipziger Journalismus-Fakultät studiert, den Laden hatte die Stasi voll im Griff. Der Rostocker veröffentlichte Ende 1966 in drei Folgen Wallraffs trivial-pathetischen Text »Auf der Werft «. Unter dickem Balken fragte das Blatt, »Wer ist Wallraff?«, was zeitlos aktuell, aber wohl kaum zu beantworten ist. Gundlachs Feuilleton spielte mächtig die Leier, selbst wenn
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