Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Stasi Lebt

Titel: Die Stasi Lebt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jürgen Schreiber
Vom Netzwerk:
Wallraff 100 würde, einen solch üppigen Auftritt samt wochenlanger Leserdebatte wird er nie mehr erleben. War der ganze Zauber für den damals 24 Jahre jungen Günter schon von der Stasi und ihrem »IM Friedhelm« gefingert? Seine Prosa sei entstanden aus Verantwortung für jene Menschen, »die vom Kapitalismus deformiert würden«, das präzis eingesetzte Wort werde »zum Seziermesser«. In seiner Dissertation über Literaturkritik in SED-Bezirkszeitungen märte »IM Friedhelm« das Ganze weiter aus. Im Januar 1967 zeigt er sich mit Wallraff auf einem Foto in der »Ostsee-Zeitung«.
    Im Berliner Aufbau-Verlag lernte der aufstrebende Wallraff 1968 Fritz-Georg Voigt kennen. Der Leiter machte ihn mit jenem ominösen Herrn »Gebhard« bekannt, der in seiner Doppelexistenz als HVA-Offizier Domberger stets für Wallraff zuständig blieb. Voigt, Deckname »Kant«, arbeitete ebenfalls inoffiziell für Mielke. Wahrscheinlich inszenierte Dornberger im Verlag auch eine Begegnung Gundlach-Wallraff.
    Günter Wallraff bleibt dabei, »ich habe mich zu keiner Zeit gegenüber dem DDR-Ministerium für Staatssicherheit zur Lieferung von Informationen bereit erklärt oder diesem Informationen gegeben«. Eine nur für den Dienstgebrauch bestimmte »Auskunft « der HVA X (der »Tagesspiegel« berichtete) sprichtauf neun Seiten eine ganz andere Sprache. Verfasser des Schrift stücks vom 25. November 1976 ist just der Mitarbeiter 535, der zum Major beförderte Dornberger. Eine Sekretärin mit dem Kürzel »Tr« geht ihm laut Briefk opf zur Hand, »Tr« wie Trommer, die spätere Frau M., rauh, aber herzlich bis zum Schluss, im Hauptmannsrang Vorzimmerdame von Oberst Wagenbreth. Wie Dornberger kam sie von der Bezirksverwaltung Gera.
    Die Nummer 535 diktierte die Sichtweise des MfS für die Akten: »Als im April 1968 eine operativ günstige Situation vorhanden war, wurde W. direkt angesprochen und zu einer Zusammenarbeit mit dem Nachrichtendienst der DDR geworben.« »IM Friedhelm« wird mit der Einschätzung zu »einem wertvollen und zuverlässigen Verbündeten« zitiert, gemeint ist Wallraff, »stets einsatzbereit, klug bis zur Raffinesse«. Und: »In seinen Urteilen … nähert er sich immer mehr unseren Standpunkten.« In dem 1998 bei der Gauck-Behörde gefundenen Dossier heißt es ferner, er habe »im Auftrag« eine Reise nach Schweden unternommen, eine Veröffentlichung darüber in »konkret« »vorher mit dem MfS abgestimmt«. »Von uns übergebene Materialien wurden seit Anfang Oktober 1969 zu vielfältigen publizistischen Maßnahmen … genutzt.« Wenn das stimmte, handelt es sich um Romanstoff, den ein John le Carré ausbauen müsste.
    Der Wallraff 2003 bestreitet den Wahrheitsgehalt solcher Wertungen grundsätzlich, das ist sein gutes Recht. Doch wer die Echtheit besagter »Auskunft « anzweifelt, muss wissen, Dornberger galt als pingeliger Chronist, Vermerke dieser Art waren zudem »Chefsache«. Nach dem »Prinzip der militärischen Einzelleitung« hatte nur Wagenbreth Postrecht, nur der Oberst durfte den Bericht weitergeben. Er aber war, was immer man davon hält, ein Ass auf seinem Gebiet. »IM Wagner« hatte zudem auf Karteikarten, in Dateien und Registriernummern als»A-Quelle«, Abschöpf-Quelle, Spuren des Beziehungsgeflechts hinterlassen, das die Gauck-Behörde Seite für Seite mühsam genug, aber immer detaillierter rekonstruierte.
    Im DDR-Archiv, das Wallraff für Recherchen aufsuchte, wimmelte es, soviel steht fest, von Stasi-Leuten, die zum Beispiel die »operative Verwendung« der dort lagernden NS-Hinterlassenschaft durch die HVA zu gewährleisten hatten. Nebst dem fachkundigen Mitarbeiter Ludwig Nestler, vordem HVA-Major, agierte im Hintergrund Wagenbreths Adlatus Albert Mutz. Der ausgebildete Philosoph erzählte jedem, der es nicht hören wollte, bei seiner ersten Reise ins sozialistische Vaterland habe er vor Rührung geheult.
    Sofern Wallraff nicht gemerkt haben sollte, wer ihn drüben beflissen umwieselte, hätte er hüben wohl kaum den Titel eines von Entlarvungsfuror getriebenen Reporters verdient. Den Ruhm eines Enthüllers, der die höhere Moralität für sich reklamierte und von dem behauptet wurde, er gucke schärfer hin als jeder andere. War er vielleicht auf einem Auge, dem linken, blind? Brüder im Geist begegneten sich da gewiss, Anhänger fester Feindbilder, jeder kämpfte auf seine Weise mit dem Kapitalismus. Das verschattet schon jetzt die Musterbiographie eines Mannes mit aufrechtem Gang.
    Meister

Weitere Kostenlose Bücher